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Inhalt

Prolog: Ein Bengel auf Abwegen

Neuer Start mit Gerry Smart

Sumpfhuhn-Mobbing

Schwarzes Leder

Nachhilfe

Ein Buch mit Nummern

Der tote Fisch

Geheimnummer

Tot und nackt

Hirtentäschel

Sesselfurzer

Lasterhafte Welt

Kein kleines Schwarzes

Mutter Beimer

Der Büro-Fifi

Nagels Wunsch

Anregungen

Kalter Abend

Herrenabend

Schön und scheu

Stahlwolle und reines Weiß

Verschnupft

Mein Lächeln

Soziale Kompetenz

Gequältes Herz

Gewissen und Kontrolle

Angekokelt

Niedriges Niveau

Schweigepflicht

Infos sammeln

Nagel raus!

Piep im Ohr

Werkstatt-Termin

Überraschende Erkenntnis

Privatsache

Wein – so rot

Ein Vermächtnis

In geheimer Mission

Traurigkeit und Hoffnung

Likas Besuch

Date mit Gottwald

Stadt als Beute

Post von der Stadt

TOP und Teufel

Polizeischutz

Wenn der Postmann zweimal klingelt

Im Büchsenlicht

Armer Wunderheiler

Eine ehrliche Nummer

Überraschung

Kuscheltiere

Die einsame Insel

Fingerabdrücke

Offene Rechnung

Die Buxen voll

Abschied und Rückkehr

Die Angst des Kandidaten

Rosa Kartöffelchen

Kein Thriller

Knapp daneben

Der wahre Sieger

Ausklang

 

»Gibt's solche Auktionen eigentlich auch mit männlichen Sklaven?«, raunte ich TOP zu. »Ich brauche dringend jemand, der mir die Hausarbeit macht.«

»Alles ist drin«, antwortete Piny. »Wenn du ihn nicht nur putzen lässt, sondern ihn auch sonst ein bisschen quälst.«

Ich wollte mir noch einen flotten Spruch herausschrauben, als sich die Tür öffnete.

»Guten Abend«, sagte eine Männerstimme.

»Lord Tom und Sklavin Grap... Mary.« Piny hatte gerade noch die Kurve gekriegt.

 

*

 

Mörderischer Beginn des Kommunalwahlkampfs in Bierstadt: Ein skandalumwitterter SPD-Politiker wird vor einem Wahlplakat der CDU-Spitzenkandidatin tot aufgefunden. Sind fanatische ›Erneuerer der SPD‹ für diesen und zwei weitere Morde an führenden Sozialdemokraten verantwortlich? Reporterin Maria Grappa recherchiert – die drei Toten im SM-Sexclub ›Chez Justine‹.

E-Book © 2013 by GRAFIT Verlag GmbH

Originalausgabe © 2000 by GRAFIT Verlag GmbH

Chemnitzer Str. 31, D-44139 Dortmund

Internet: http://www.grafit.de/

E-Mail: info@grafit.de

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagillustration: Peter Bucker

eISBN 978-3-89425-990-7

Gabriella Wollenhaupt

 

 

 

Grappa und das große Rennen

 

 

 

Kriminalroman

 

 

 

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Die Autorin

 

 

Gabriella Wollenhaupt, Jahrgang 1952, arbeitet als Fernsehredakteurin in Dortmund. Sie mag nette Katzen, virtuelle Hühner und schöne Männer.

Als Kriminalschriftstellerin debütierte sie im Frühjahr 1993 mit Grappas Versuchung. Es folgten zahlreiche weitere Romane mit und ohne Grappa. Sämtliche Ermittlungen der rothaarigen Reporterin sind als E-Book lieferbar.

www.gabriella-wollenhaupt.de

Die Personen

 

 

(in alphabetischer Reihenfolge)

Dr. Cora Cosel Oberstaatsanwältin mit Hobby

Big Mäc Fotograf mit geschultem Auge

Gregor Gottwald Alt-OB mit Herz und Härte

Maria Grappa Journalistin ohne Hemmungen

Peter Jansen Zeitungsmann mit Erfahrung

Willi Junghans Kandidat ohne Zukunft

Friedel Knaup Parteigröße mit Nebenjob

Dr. Arnim Lika Psychologe mit Visionen

Paul Manthey Parteichef ohne Fortune

Manuela Frau mit Berufserfahrung

Sumpfhuhn Flattermann mit null Chance

Jakob Nagel Kandidat mit kühlem Kopf

Tom Piny Journalist mit Durchblick

Nazmi Radic Opfer mit klaren Zielen

Gerry Smart Kandidatin mit besonderen Vorlieben

Jetzt mögen sie ganz, was ihnen beliebt, anstellen mit mir;

preis geb ich den Herrn mein Fleisch und Bein,

es zu prügeln, zu plagen mit Hunger und Durst,

es zu schinden, zu schmoren, zu stechen wie Wurst;

denn kann ich mich nur von den Schulden befrein,

so mag mich die Welt meinethalben verschrein ...

 

Aus der Komödie »Wolken« von Aristophanes

(425–388 v. Chr.)

Das also ist der Mord, ein bisschen veränderte Materie, eine Änderung in der Zusammensetzung einiger Moleküle, voneinander gerissen und zurückgesandt in den Schoß der Natur, woher sie in wenigen Tagen unter anderer Form wiederkehren werden. Wo ist da das Schlechte?

 

Donatien-Alphonse-François Marquis de Sade

(1740–1814)

Für all die, die sich einige Monate lang um Bierstadt wirklich gesorgt haben.

Prolog: Ein Bengel auf Abwegen

 

 

Der Schlamassel begann an der Brunnenstraße. Das war an einem jener beißend kalten Winterabende, gegen 23 Uhr. Der Kandidat hatte die letzten drei Stunden bei einer Jubilarehrung seiner Partei im Norden der Stadt verbracht, hatte verdienten Genossinnen und Genossen die Hände geschüttelt und das eine oder andere warme Wort gesprochen – über Parteisolidarität, politische Treue und andere sozialdemokratische Tugenden.

Der älteste Jubilar an diesem Abend hatte es immerhin sechzig Jahre in dieser Partei ausgehalten und mit ihr Stürme der deutschen Geschichte durchgestanden.

Den Kandidaten war Rührung überkommen. Sein Charakter hatte nämlich auch eine ausgesprochen sentimentale Seite. So hatten ihn die wässrigen Greisenaugen der Geehrten beeindruckt, die schlaffen Wangen der Schriftführerin des Ortsvereins gerührt, er war ergriffen worden vom dumpfen Gesang des Männerchores der Arbeiterwohlfahrt. Am Ende hatte sich sogar der Parteichef auf die Bühne begeben. Dessen heimliche Leidenschaft galt der Musik – er ließ es sich nicht nehmen, wichtigen parteipolitischen Ereignissen seinen eigenen, persönlichen Stempel aufzudrücken. Der Akkordeonspieler, der sich zuvor an urdeutschem Liedgut versucht hatte, präsentierte nun eine kessere Musik: »La paloma blanca« – die weiße Taube –, hingebungsvoll interpretiert von Paul Manthey, dem Vorsitzenden des SPD-Bezirks. Oft frönte er dem Karaoke-Gesang – und auch an diesem Abend hatte er seine eigene Stimme erschallen lassen: einen matten Bariton mit ziemlich vielen stumpfen Stellen.

Willi Junghans hatte nach Ende der Veranstaltung in der Kälte des Abends aufgeatmet. Als er den Schlüssel in die Tür seines BMW steckte, überfiel ihn ein plötzliches Kribbeln in der Lendengegend. Da ihm dieses Gefühl nicht ganz unbekannt war, wusste er auch, wie er seine dubiose Unrast in ein wohliges Gefühl der Entspannung würde verwandeln können.

Willi Junghans beschloss, einen Umweg über die Brunnenstraße zu machen. Und hier – wie gesagt – begann der Schlamassel.

Manuela war eine gut aussehende Frau von knapp dreißig. Na ja, der Drogenkonsum ließ sie ein wenig älter erscheinen, die Falten auf der Stirn hätten durch einen normaleren Alltag sicher abgemildert werden können, doch keiner ihrer Kunden achtete auf ein glattes Gesicht. Denen ging es um die schnelle Nummer. Meistens oral, seltener vaginal, denn das kostete. Vor allem Zeit.

Manuela registrierte, wie sich der dunkelblaue Wagen langsam näherte, fast schien er zu zögern, dann hielt er doch.

Sie schaute auf die Uhr. Eigentlich Feierabend. Aber der Tag war schlecht gewesen, das Geschäft lief in den letzten Wochen überhaupt nicht gut. Das lag an der Kälte.

Den einen noch, dachte sie. Sie schaute an sich herunter, öffnete den Wollmantel, so dass der Kunde sehen konnte, was er für seine Kröten bekommen würde. Sie trat zu der dunklen Limousine hin.

Der Kandidat sah Manuelas Beine, die schwarzen Strapse und die knappe schwarze Nappalederhose.

»Hallo, Süßer!«, schnurrte sie. »Lust auf ein kleines Stößchen oder willst du's französisch?« Ihre Stimme klang nicht begeistert, ließ jenen Unterton vermissen, den gute Verkäufer drauf haben, die jemandem etwas schmackhaft machen wollen, was der eigentlich gar nicht will.

Apropos schmackhaft. Manuela erinnerte sich an den Mann im Auto, der wollte es oral. Mit Stößchen war da nichts, der stand nicht auf Nummern, die die Fünf-Minuten-Schallgrenze überschritten. Zu viel Aufhebens. Ihr fiel wieder ein, dass der Mann mal schelmisch angemerkt hatte, dass er sehr bekannt in der Stadt sei, sozusagen ihr mächtigster Mann und so.

Solche Sprüche hatten für Manuela die gleiche Bedeutung, als wenn in China der berühmte Sack Reis platzt. Sie hatte ihm einen geblasen und das war's.

»Siebzig Eier«, sagte sie knapp.

»Fünfzig«, sagte er noch knapper.

»Na ja, weil du's bist.«

Sie stieg ein. Wenigstens war es warm in der Karre.

»Mach den Reißverschluss auf«, forderte sie und begann die Lippen zu schürzen. Verdammt, bei der Kälte fror aber wirklich alles ein.

»Nicht hier«, meinte er. Der Wagen fuhr an, bewegte sich leise auf die Fahrbahn, dann gab er Gas.

»Fass den Bengel doch schon mal an.« Die Stimme des Kandidaten war plötzlich heiser. Die Vorfreude hatte den Platz zwischen seinen Beinen erheblich verengt.

Manuela öffnete den Reißverschluss, dann tastete ihre Hand nach dem, was er neckisch als »Bengel« zu bezeichnen pflegte. »Mann, ist der aber groß!«

Manuela versuchte ihrer Stimme einen Hauch von Anerkennung und Verblüffung zu geben. Sie ließ die Kerle gern im Glauben, dass ihr Ding was ganz Besonderes sei – in puncto Größe. Das hob das Geschäft und machte manches Scheinchen extra locker.

Nur nicht in diesem Winter. Da war das meiste sowieso zusammengeschrumpft wie eine autistische Schnecke und sie musste sich doppelt anstrengen, bekam aber nicht die zweifache Kohle.

Der Kandidat bemerkte nicht, dass sich ein Auto an die Stoßstange seines Wagens heftete. Er hatte zwar einen flüchtigen Blick in den Rückspiegel geworfen, sich dann aber wieder dem Straßenverkehr vor ihm zugewandt. Er gehörte nicht zu den Menschen, die zugleich gucken, denken und Rückschlüsse ziehen konnten. Bei ihm ging alles immer schön der Reihe nach.

Manuela hatte sein Teil gerade in der Faust und massierte es lustlos, als Blaulicht gleißte. »Scheiße, die Bullen«, meinte sie trocken.

»Bullen?« Der Kandidat war erstaunt, dann dachte er nach. Doch noch vor dem Ende des Denkvorgangs hatte der Polizeiwagen seine Limousine überholt, knapp vor ihr gestoppt und Willi Junghans sah das rote Licht der Kelle.

»Pack ihn weg«, schnauzte der Kandidat. Dann stoppte er notgedrungen.

Manuela stopfte die Hand voll ins mako-gekämmte Unterkleid zurück und zerrte, etwas roh, den Reißverschluss nach oben.

»Aua!«, brüllte der Politiker, doch er hatte wenig Zeit, den Verlust eingeklemmter Schamhaare zu betrauern, denn ein Polizeibeamter stand bereits neben dem Fahrerfenster und strahlte mit einer starken Taschenlampe ins Wageninnere.

Willi Junghans drückte auf die Taste, die für das automatische Öffnen und Schließen der Fenster zuständig war.

»Schönen guten Abend, die Herrschaften!« Der Ton des jungen Kriminalbeamten in Zivil war erfrischend freundlich, doch wer genau hinhörte, spürte den stolzen Unterton eines erfolgreichen Beutemachers. »Mein Name ist Jochen Baumann, Kriminalobermeister.«

Baumann hielt dem Kandidaten den Dienstausweis vors Gesicht. Dann senkte der Kripomann den Kopf, erblickte die Frau auf dem Beifahrersitz. »Hallo, Manuela.«

Leises Unbehagen ergriff von Willi Junghans Besitz. Er hatte plötzlich das untrügliche Gefühl, dass dieser Abend seinem Leben eine unvorhergesehene Wendung geben könnte. Doch er wäre nicht der Kandidat seiner Partei geworden, wenn er sich so einer Herausforderung verweigert hätte.

»Ihre Papiere bitte!« Jochen Baumanns Ton war noch immer höflich. Er hatte mit dem Blick des geschulten Fahnders erkannt, dass der dicke Schlitten neu an die 150.000 Mark kosten musste.

Jochen Baumanns Kollege Wilhelm Müller war im Wagen geblieben, um für die Kollegen in der Leitstelle des Polizeipräsidiums erreichbar zu sein. Dort wurde nämlich gerade überprüft, ob der BMW als gestohlen gemeldet und wer der Halter war.

»Willi Junghans«, plärrte es aus dem Funkgerät.

»Junghans?«, sprach Wilhelm Müller vor sich hin. »Junghans?« Dann fiel es ihm ein. Er stieg aus, um seinem jungen Kollegen Jochen Baumann zur Seite zu stehen.

»Sie kennen mich nicht?«, hörte er die Stimme des Mannes. »Dann werden Sie mich kennen lernen. Ich bin mit dem Polizeipräsidenten per du. Jawohl!«

»Ach ja?«, dehnte Kriminalobermeister Jochen Baumann.

Das war ein Fehler, dachte Wilhelm Müller, Baumann reagierte allergisch auf solch ungeschickt verpackte Drohgebärden.

»Ich bin der Spitzenkandidat meiner Partei für die Oberbürgermeisterwahl«, erklärte der Politiker.

»Dass Sie spitz sind, will ich gern glauben«, meinte Baumann ungerührt. »Sonst säße Manuela ja nicht neben Ihnen, Herr Junghans.«

»Was bilden Sie sich ein?« Junghans war wild entschlossen, als Sieger aus der Nummer herauszugehen. »Ich habe die Dame an der Straße gesehen. Es war kalt. Sie fror. Da habe ich gefragt, ob ich sie ein Stückchen mitnehmen kann. Das war alles.«

»Und wie siehst du die Sache, Manuela?« Wilhelm Müller, Mitglied derselben Partei, deren Spitzenkandidat jetzt vor ihm stand, hatte fast Mitleid mit Junghans. Er hielt ihn eigentlich für einen netten Typen, hatte ihn noch vor zwei Tagen gesehen, als die Kaffeeküche der Polizeiwache in Scharnhorst eingeweiht worden war. Der Kandidat hatte sogar die Polizeikapelle dirigiert.

»Genauso war's«, sagte Manuela. »Ich wollte nach Hause trampen. Bad Rothenfelde.«

»Ach, Mädchen!« Wilhelm Müller gab seiner Stimme einen väterlichen Ton. »Die Drogen und der Suff, die fressen den Menschen uff. Und der Sex auch. Ja wirklich! So 'ne junge, nette Frau wie du. Könntest meine Tochter sein. Musst du dich nachts an der Brunnenstraße rumtreiben? Ausgerechnet im Sperrbezirk. Mensch, Mädchen! Mach 'ne Therapie und such dir 'n Job.«

»Mir ist kalt«, sagte Manuela.

»Dann steig mal zu uns um«, schlug Jochen Baumann vor. »Vorübergehende Festnahme. Du kannst über Nacht bleiben. Morgen früh sehen wir dann weiter.«

Manuela stieg aus. »Habt ihr mal 'ne Zigarette?«

Müller gab ihr eine, das Feuerzeug glimmte. Dann ging Manuela zum Polizeiwagen und setzte sich hinein.

»Sie werden von mir hören«, kündigte Willi Junghans an.

»Sie auch von uns«, meinte Baumann lakonisch.

»Ziehen Sie sich warm an. Ganz warm.«

»Hör mal, Genosse ...« Wilhelm Müllers Ton war vertraulich. Er wollte Junghans beiseite ziehen, ihm die Lage wenigstens erklären.

»Fassen Sie mich nicht an!«, brüllte der Kandidat. »Das ist Amtsmissbrauch. Körperverletzung. Und so weiter.«

»Wie Sie wollen!« Müller hob die Hände.

»Wir wünschen Ihnen noch einen schönen Abend«, sagte Baumann. »Kommen Sie gut ... nach Hause – meine ich.« Er konnte sich ein anzügliches Grinsen nicht verkneifen.

Die beiden Beamten sahen dem schweren BMW nach, wie er sich in den rollenden Verkehr einordnete.

»So – das war's«, stellte Müller fest. »Feierabend, Kollege?«

»Ja«, sagte Jochen Baumann. »Wir versorgen Manuela noch und dann ab ins Bett. Ich muss morgen früh raus. Zahnarzttermin.«

Neuer Start mit Gerry Smart

 

 

Manuela kam ungeschoren davon, Junghans weniger. Monate später hatte ihn jemand an ein schwarz-gelbes Wahlplakat genagelt und er war ziemlich tot. Auf dem Plakat stand: Neuer Start mit Gerry Smart.

Gerry – oder Gerlinde, wie sie richtig hieß – Smart war die Kandidatin der Christdemokraten. Die hatten eine einmalige Chance gewittert, das rote Rathaus in Bierstadt zu stürzen, nachdem Junghans' Blow-Job-Affäre bundesweit bekannt geworden war.

Und jetzt das! Junghans war im Morgengrauen von einem Zeitungsboten des Bierstädter Tageblattes leblos vor der Großplakatierung der Konservativen gefunden worden. Der Mann hatte zunächst die Polizei, dann Peter Jansen angerufen, der seit vielen Jahren Leiter der Bierstädter Lokalredaktion war. Jansen wiederum hatte mich in aller Herrgottsfrühe aus dem Bett geklingelt und zu einer Krisensitzung in die Redaktion beordert. Jetzt saßen wir hier – es war sechs Uhr morgens –, für Zeitungsjournalisten allertiefste Nacht.

»Du siehst so komisch aus, Grappa«, musterte Jansen mich. »Ist irgendwas? Bist du krank?«

»Ich bin ungeschminkt«, knurrte ich. »Außer meinen Katzen und dem Milchmann hat mich noch nie jemand in diesem Zustand gesehen.«

»Und ich dachte immer, deine Katzen seien eines natürlichen Todes gestorben«, wunderte er sich. »Und wie geht's dem Milchmann?«

»Er ist auf dem Weg der Besserung«, behauptete ich. »Erst Psychiatrie, jetzt Selbsthilfekassetten. Sonst noch Fragen?«

»Willst du Kaffee?«, lenkte er ein.

»Immer.«

Schweigend schlürften wir den schwarzen Saft.

»Scheißwahlkampf«, schimpfte Jansen dann. »Und jetzt noch dieser Mord! Wer sollte Junghans umbringen? Und – vor allem – warum? Kannst du dir einen Reim drauf machen?«

»Nicht direkt. Aber – ich find's prima. Bisher war der Kampf um die Pöstchen eher langweilig, immer dieselben Reden, dieselben Arschgesichter, dieselben Versprechungen und dasselbe Ergebnis. Sozialdemokratischer Mief bis zum Abwinken. Jetzt kommt wenigstens Stimmung in die Bude! Meinst du, die finden den Mörder schnell?«

»Ach, Grappa«, stöhnte Jansen, »das ist mir ziemlich schnurz. Für uns bedeutet das auf jeden Fall eine Menge Arbeit. Gerade jetzt, wo zwei Planstellen unbesetzt sind. Ich kann auch nicht mehr als achtundvierzig Stunden am Tag arbeiten.«

»Verlass dich ganz auf mich«, sagte ich eifrig. »Ich werde den Mörder von Junghans finden – und zur Strecke bringen.«

»Was du nicht sagst«, staunte mein Chef, »ich dachte, du konntest Junghans nicht leiden.«

»Das ist noch untertrieben«, gab ich zu. »Junghans war die Karikatur eines unmoralischen, machtgeilen und dummen Politikers. Wenn der Oberbürgermeister von Bierstadt geworden wäre – nicht auszudenken. Das hätte diese schöne Stadt nicht verdient gehabt. Ich will den Mörder finden, um ihm in tiefer Dankbarkeit die Hand zu drücken und ihn über die Grenze in ein Land zu bringen, das ihn nicht an die Bundesrepublik ausliefert. Deshalb will ich die Story haben.«

»Ich wusste doch, dass du edel, hilfreich und gut bist«, seufzte Jansen. »Und dass du ohne Ansehen der Person ermittelst. Und dass dir Rachegedanken völlig fremd sind.«

»Schön, dass du mich verstehst«, lachte ich ihn an.

»Ich hab mit der Polizeipressestelle telefoniert«, berichtete Jansen. »Die Staatsanwaltschaft gibt heute um zehn eine Pressekonferenz. Die haben eine Oberstaatsanwältin aus Karlsruhe nach Bierstadt abgeordnet. Von der Bundesanwaltschaft. Wegen der politischen Brisanz der Sache.«

Sumpfhuhn-Mobbing

 

 

Gerlinde ›Gerry‹ Smart, die Herausforderin der Sozialdemokraten, hatte mit ihrer Kandidatur etwas Positives bewirkt: Sie hatte diese verschlafene Provinz-Großstadt in Schwung gebracht. Über fünfzig Jahre war hier dieselbe Partei am Ruder gewesen – und nun zeichnete sich ein Machtwechsel ab.

Nicht, dass ich Gerry Smart den Sieg gegönnt hätte. Ihre politischen Ansichten spiegelten soziale Rücksichtslosigkeit wider, hatten mit demokratischem Gedankengut nichts zu tun und reduzierten das Wort Politik auf ›Selbstbedienung für die Starken‹: Wer wirtschaftlich leistungsfähig war, sollte das Sagen haben. Punktum.

Das war die falsche Politik in einer Stadt, in der um die sechzehn Prozent Arbeitslosenquote die traurige Regel war. Doch solch dumme Sätze wie »Wer will, der kann auch arbeiten« purzelten wie Kartoffeln aus dem rot geschminkten Mund der konservativen Herausforderin.

Gerry Smart war Mitte vierzig, allein stehend, schlank und sonnenbankgebräunt. Ein Typ Frau, der im Alter nicht mollig und weich wird, sondern sehnig und hager. Sie wirkte männlich, ihre Lippen waren in Wirklichkeit schmaler, als es auf den Wahlplakaten zu sehen war, und in ihrem Gesicht waren Spuren eines nicht immer biederen Lebenswandels zu erkennen.

Sie hatte als Software-Entwicklerin Millionen gemacht und nun die Politik als Hobby entdeckt. Ihr Sumpfhuhn-Internet-Spiel war in den letzten Monaten zum Schlager geworden – es gab kaum ein Büro in Deutschland, in dem nicht jeden Morgen zunächst harmlose Sumpfvögel gemeuchelt wurden, bevor es ans Kollegen-Mobbing ging.

So hatte Smart das ›Sumpfhuhn‹ auch zum Logo ihres Wahlkampfes erhoben. Es prangte auf allen Briefbögen, Plakaten, Sticker, T-Shirts und anderen Wahlgeschenken, mit denen die Kandidatin reichlich um sich warf.

Die armen Flattermänner konnten zudem im Internet-Café Gerryklick.de schwarmweise totgeballert werden – für Kinder und Jugendliche war das Café zu einer echten Attraktion geworden.

Ich hatte mal einen Artikel darüber verfasst – lange bevor jemand ahnen konnte, dass der Wahlkampf so blutig werden und das Leben von Junghans zu Füßen eines schottischen Sumpfhuhns enden würde.

Die CDU-Frau hatte das virtuelle Spiel für ihren Wahlkampf extra noch erweitert und die einzelnen Vögel mit Namensschildern versehen. So trug das langweiligste Huhn den Namen von Jakob Nagel, dem amtierenden Stadtdirektor, das dickste und kleinste den Namen von SPD-Parteichef Manthey und der gerupfteste Flattermann hieß Willi Junghans. Wurde der abgeschossen, fielen ihm beim Sturz in das Moor sogar noch Geldscheine aus den Federn.

Aber auch weniger prominente Bierstädter hatten die Ehre, von Kids im Namen von Gerlinde Smart abgeballert zu werden: Da gab es den Bierstädter Krimiverleger, der als furchtbar links galt, den Leiter des WDR-Landesstudios, der der SPD-Mitgliedschaft verdächtigt wurde, und die Chefin der örtlichen Stadtbibliothek, die dafür bekannt war, gerne in Tierkostümen zu posieren.

Nur ein Huhn war tabu: Es hieß ›Gerry‹. Wurde es zufällig oder absichtlich getroffen, stürzte der Rechner ab und der Monitor wurde pechschwarz.

Die Frau hatte Ideen und Erfolg. Im Moment bereitete sie den Börsengang ihrer Firma vor und sie hatte eine Aktion ins Leben gerufen, die jungen Ausländern ein Informatikstudium an der Bierstädter Uni ermöglichen sollte. Alles Dinge, die sich in den Medien gut verkaufen ließen.

Schwarzes Leder

 

 

»Die Frau ist ein Knaller!« In Tom Pinys flüsternder Stimme an meinem Ohr lag eine Mischung aus Verblüffung, Hochachtung und Bewunderung.

Obwohl ich lieber Frauen mag, die dicker sind, als solche, die besser aussehen als ich, musste ich ihm Recht geben: Dr. Cora Cosel, die neue Oberstaatsanwältin, hatte etwas Besonderes an sich. Sie war nicht im landläufigen Sinne schön, sondern strahlte eine androgyne Härte aus: scharf geschnittene Züge, große, schräg stehende Katzenaugen, eine etwas zu kurze Nase und ein Mund mit schmalen Lippen, die nicht geschminkt waren. Sie war unauffällig gekleidet: ein graues Schneiderkostüm mit hellblauer Bluse. Irgendwie brav, doch die Sachen waren genau die halbe Nummer zu klein, um aufregend und aufreizend zu wirken.

Ich blickte mich um. Die anderen Kollegen guckten ebenso kariert wie der alte Frauenkenner Piny. Er war zwar schwer verheiratet, das hielt ihn jedoch nicht davon ab, mit offenen Augen und geschärftem Blick durchs Leben zu ziehen.

»Warte erst mal ab, was die Maus auf der Pfanne hat«, raunte ich ihm zu. »Frauen in diesem Job sind meist zu Journalisten um Längen ekliger als Männer.«

Piny ließ die Augen nicht von der Staatsanwältin. Er schrieb fürs Konkurrenzblatt, und das noch nicht mal schlecht. Manche Story hatte er mir weggeschnappt, manchmal gaben wir uns gegenseitig Tipps und einige Male war ich vorne gewesen.

Wir nannten das bei unseren gelegentlichen Treffen »offenes Messen herausragender journalistischer Fähigkeiten«, denn für uns beide bestand überhaupt kein Zweifel, dass wir den Journalismus erfunden hatten. Ich glaubte es von mir und Piny natürlich von sich.

Der Leitende Oberstaatsanwalt hatte seine Kollegin vorgestellt und gab ihr nun das Wort. Blitzlichter flammten auf, Kassettenrekorder wurden gestartet, Kameras surrten.

»Herr Junghans ist heute früh von einem Zeitungsboten tot aufgefunden worden. Sein Körper war unbekleidet und an einem Großplakat der christdemokratischen Kandidatin Gerry Smart befestigt.« Cora Cosels Stimme war unterkühlt und geschäftsmäßig.

»Wunderbar!«, schwärmte Piny leise.

»Was?«, fragte ich. »Du freust dich über Junghans' Abgang?«

»Ach wo«, wehrte er ab. »Diese Frau ist ein Gesamtkunstwerk!«

»Nun mach mal halb lang«, grummelte ich.

Tom Piny, auch TOP genannt – dies war das Kürzel, mit dem er seine Artikel kenntlich machte –, fragte laut: »Können Sie etwas zur Todesart sagen?«

»Aber natürlich, Herr ...?« Die Oberstaatsanwältin richtete ihren strengen Blick auf TOP.

»Dies ist Herr Piny«, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt rasch. »Von der Bierstädter Allgemeinen

»Herr Junghans wurde nach erstem Augenschein erschossen. Natürlich werden wir noch obduzieren.«

»Grappa vom Bierstädter Tageblatt«, stellte ich mich vor. »War's ein Schuss oder mehrere?«

»Ein Schuss. In die Schläfe.«

»Selbstmord?«, fragte ein Kollege.

»Nein. Wir gehen von einer Straftat aus. Und um es gleich vorwegzunehmen: Wir haben die Tatwaffe und die Kleider noch nicht gefunden und wir haben auch noch keine Spur von dem oder den Tätern. Es ist gerade mal ein paar Stunden her, dass die Leiche entdeckt worden ist. Die Ermittlungen laufen auf vollen Touren. Ich habe veranlasst, dass die Polizei eine Sonderkommission einsetzt.«

»Hat er sich gewehrt? Gibt es Spuren eines Kampfes?«, forschte ich nach.

»Auf den ersten Blick nicht.«

»Wie ist der Körper an dem Plakat befestigt worden? Und wieso gerade da? Vermuten Sie einen politischen Hintergrund?«, fragte TOP.

»Um beide Handgelenke der Leiche befanden sich zu Schlingen geknotete Seile. In die Plakatwand sind zwei Keile getrieben und der Körper ist mit Hilfe der Fesseln daran befestigt worden. Etwa so ...«

Cora Cosel erhob sich und breitete die Arme aus, als hinge sie an einem Kruzifix. Die Fotografen wurden munter, die Kameraleute hektisch.

Die Oberstaatsanwältin lächelte kurz und setzte sich wieder hin. »Jetzt zur Frage nach dem politischen Hintergrund. Die ehrliche Antwort ist – ich habe keine Ahnung. Es kann einen solchen Hintergrund geben, muss aber nicht. Die Leiche wies noch eine Besonderheit auf, die ich vielleicht erwähnen sollte. Oder?«

Das letzte Wort war an den Leitenden Oberstaatsanwalt gerichtet, der nicht besonders begeistert guckte. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr.

»Der Tote trug eine Maske.«

Ein Raunen ging durch die Journalistenschar.

»Eine Maske, wie sie im Sadomaso-Bereich verwandt wird. Eng anliegend, aus schwarzem Leder mit Augen- und Mundschlitzen.«

»Das ist ein Hammer!« Tom Piny sprach uns allen aus dem Herzen.

»Was kann das bedeuten?«, warf ich in die Runde.

»Das kann bedeuten, Frau Grappa«, erklärte Cora Cosel, »dass Herr Junghans Kontakte zu einem gefährlichen Milieu hatte. Immerhin ist er ja schon einmal in ähnlicher Hinsicht auffällig geworden. Es ist aber auch möglich, dass der oder die Täter den politischen Hintergrund der Tat verschleiern wollten. Sie sehen also, dass in verschiedene Richtungen ermittelt werden muss.«

»Gab es sonst noch Ungewöhnliches? Verletzungen? Bekennerschreiben?«, fragte ich.

Cora Cosel warf dem Leitenden Oberstaatsanwalt einen Blick zu. Er nickte.

»An der Leiche war ein Zettel befestigt«, sagte die Oberstaatsanwältin.

»Da prangte bestimmt ein Sumpfhuhn drauf«, flüsterte ich Tom zu.

Er grinste sich eins.

»Können wir das Papier sehen?«, fragte er dann.

»Aber selbstverständlich!« Dr. Cora Cosel öffnete eine Mappe und hob ein Stück Papier hoch: »Auf dem Zettel steht folgender Satz: Der Mensch scheint also von Natur aus böse zu sein, er ist es im Delirium seiner Leidenschaften ebenso wie in seiner Kaltblütigkeit. Es handelt sich um ein Zitat aus einem Werk des Marquis de Sade. Und da ist noch etwas: Das Schreiben trägt auch eine Unterschrift: ›Erneuerer in der SPD‹.«

»Und? Was sind das für Leute?« Der Fragesteller war der Lokalchef der Bierstädter Rundschau, ein abgewrackter Typ mit Zuckerwattehaaren, der auf Pressekonferenzen meist nicht sehr viel mitbekam, weil es das Quantum Alkohol in seinem Blut nicht zuließ. Er war die Karikatur eines Schreiberlings: dreist, aufgeblasen, verbraucht und in einen permanenten Kampf mit der deutschen Grammatik verstrickt, den er meistens verlor.

»Die Gruppe hat sich bei mir noch nicht vorgestellt«, antwortete Dr. Cora Cosel mit mildem Lächeln.

»Könnte der Mord an Junghans der Beginn einer Mordserie sein?«, fragte TOP. »Wenn es die ›Erneuerer in der SPD‹ wirklich geben sollte, dann dürfte das ja wohl nur der Anfang gewesen sein – bei dem derzeitigen Zustand der Partei.«

»Die Frage wollte ich auch gerade stellen«, beeilte sich Zuckerwatte zu beteuern.

»Ich bin Staatsanwältin und ich halte mich an Fakten. Vermutungen sind mir verhasst. Und jetzt entschuldigen Sie mich. Ich habe viel zu tun!«

Nachhilfe

 

 

Junghans' unkonventionelles Ende lockte die internationale Medienszene nach Bierstadt.

Wenigstens die Hotels dürften ihren Schnitt machen, dachte ich, als ich Übertragungs- und Reportagewagen durch die Stadt fahren sah.

Junghans war von seiner Partei ja schon längst vom Kandidatenstuhl der Oberbürgermeisterwahl gestürzt worden, vor einer Woche war er dann endlich auch als Fraktionschef zurückgetreten. Nicht allein wegen der Rotlichtaffäre, der Gemeuchelte hatte noch mehr auf dem Kerbholz gehabt. Zehn Jahre lang hatte er keine Steuererklärung abgegeben, sich vom Finanzamt schätzen lassen, das natürlich nicht wusste, dass Junghans Bezüge aus zahlreichen Vorstands- und Aufsichtsratsposten erhielt, in die ihn seine Partei gehievt hatte. Erst als er mit Manuela in die Schlagzeilen geraten war, fiel dem Finanzamt die Sache auf. Junghans hatte seine Nebeneinkünfte nachversteuern und ein Bußgeld zahlen müssen.

Was mich an Junghans fasziniert hatte – außer seinem Abgang –, war der völlige Mangel an Unrechtsbewusstsein gewesen. Selbst als die Steuersache bekannt geworden war, hatte er nicht an einen Rücktritt gedacht, sondern musste durch seine Partei erst gezwungen werden.

Wieder in der Redaktion angelangt, berichtete ich Peter Jansen von der Pressekonferenz.

»Die Maske und das Sade-Zitat müssen etwas bedeuten – aber was?«, grübelte er. »Junghans war zwar bekannt dafür, dass er auf Schmuddelsex stand, aber Sadomaso? Glaub ich nicht.«

»Was heißt schon glauben?«, warf ich ein. »So etwas hängt niemand an die große Glocke. Noch nicht mal Junghans. Außerdem – ob er SM-Spielchen betrieben hat, finde ich nicht so interessant wie die Frage, ob es diese ›Erneuerer in der SPD‹ wirklich gibt.«

»Vielleicht haben sich die Jusos umbenannt?«, witzelte Jansen.

Ich lachte herzlich. »Junghans war ein mieser Typ. Und dämlich dazu, was die Sache verschlimmert. Seiner Partei hat er auf jeden Fall Schaden zugefügt. Welcher Politiker lädt sich schon eine drogensüchtige Nutte ins Auto? Die SPD setzt sich für die Rehabilitation Drogensüchtiger ein und unterstützt Projekte, die Prostituierte wieder eingliedern sollen, und ein herausragender Repräsentant dieser Partei benimmt sich dermaßen daneben. Es gibt also viele Gründe anzunehmen, dass es die Erneuerer wirklich gibt. Und wenn sie nur ein Phantom sein sollten, dann müssten sie erfunden werden.«

»Du kriegst ja richtig heiligen Zorn, Grappa«, wunderte sich Jansen.

»Ich mag diese Stadt eben, das ist alles«, gestand ich. »Wie viele Zeilen habe ich?«

»So viele du brauchst«, sagte Jansen gnädig. »Wie ist sie eigentlich?«

»Wer?«

»Die neue Staatsanwältin.«

»Wenn sie nur halb so taff ist, wie ich glaube, dann räumt sie richtig auf in dieser Stadt.«

»Prima!« Jansen rieb sich die Hände. »Uns stehen spannende Wochen bevor: die Kommunalwahl, der Mord und ... wer weiß, was noch passiert!«

Ich hackte hundertzwanzig Zeilen in den Computer. Bemühte mich, sachlich zu bleiben. Dann jagte ich den Fotografen zu dem Großplakat, an dem Junghans festgebunden worden war. Die Stellen, an denen der Mörder die Keile in die Plakatwand getrieben hatte, waren noch deutlich zu erkennen. Der Slogan Neuer Start mit Gerry Smart prangte oben im Bild.

Ich montierte ein Porträt von Junghans auf das Plakat und verfasste die Bildunterzeile: Für ihn gab es keinen neuen Start, sondern ein gewaltsames Ende: Willi Junghans wurde ermordet. Sind die ›Erneuerer in der SPD‹ die Täter?

Ein Buch mit Nummern

 

 

Manuela lebte noch nicht lange in der kleinen Wohnung. Die Mitternachtsmission hatte ihr die Bleibe besorgt; von dem Geld, das ihr Journalisten nach der Rotlichtaffäre mit Junghans für Interviews gegeben hatten, konnte sie eine Weile ganz gut leben. Vielleicht schaffte sie ja den Ausstieg aus der Szene.

»Ich habe im Radio gehört, dass er tot ist«, sagte Manuela.

Wir saßen in ihrem Wohnzimmer, das einfach eingerichtet war. Die Möbel waren gebraucht, die Tapeten nicht mehr die modernsten, aber irgendwie wirkte alles warm und anheimelnd.

»Er kam doch öfter zu Ihnen«, sagte ich. »Hatte er noch andere Vorlieben – außer Oralverkehr?«