Umschlag

Sunil Mann

Der Schwur

Kriminalroman

 
 

 

 

Sunil Mann wurde als Sohn indischer Einwanderer im Berner Oberland geboren und gilt als einer der renommiertesten und vielfältigsten Autoren der Schweiz. Zwanzig Jahre lang hat er als Flugbegleiter gearbeitet, seit zwei Jahren ist er freischaffender Autor. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet.
www.sunilmann.ch

1

»Schneller, wir sind spät dran!«

Keuchend lässt sich Faith zurückfallen, der Drang wegzurennen ist jetzt übermächtig. Doch Tante Yisabella hält ihre Hand mit eisernem Griff fest und zerrt Faith hinter sich her, während sie zielstrebig die sandfarbene Mauer entlangläuft. Faith stolpert die letzten Meter mit offenem Mund, der Herzschlag rast, Schweiß rinnt ihr übers Gesicht. Das schlichte grüne Baumwollkleid klebt nach dem langen Fußmarsch wie eine zweite Haut am Körper.

Sie schwankt, nachdem Tante Yisabella jäh vor dem unscheinbaren Durchbruch in der Mauer stehen geblieben ist, und starrt auf den Schrein dahinter, eine zerfallene Hütte im Schatten einer uralten knorrigen Platane, allein von Stützpfeilern aufrecht gehalten. Die bröckelnden Wände sind mit okkulten Zeichen und doppelköpfigen Fabelwesen verziert, die Faith noch nie gesehen hat, staubig und rostrot die Erde im Innenhof. Dämonische Holzfiguren, von Wind und Regen geschwärzt, reihen sich unter dem Vordach aus Palmwedeln und glotzen sie mit unheilvollen Blicken und weit aufgerissenen Mündern an. Zu ihren Füßen häufen sich Opfergaben: Speisen, Blumen, Schmuck. Grelloranges, längst eingetrocknetes Mus, das sich wie Erbrochenes über Sockel und Boden ergießt, daneben Zigaretten und Coca-Cola in trübglasigen Flaschen. Bunte Kleidung verhüllt einige der Figuren, manche sind mit blutroter Farbe bespritzt, anderen hat man Ketten aus Kaurimuscheln umgehängt.

In Faiths Schläfen hämmert der Puls und die Panik fühlt sich an wie ein Schwall eiskaltes Wasser, der ihren Körper flutet. Der Klang der Trommeln, der dumpf aus dem Inneren des Schreins dringt, fällt ihr erst jetzt auf.

»Reiß dich zusammen«, zischt Tante Yisabella, da Faiths Knie unvermittelt nachgeben, und packt sie grob am Oberarm.

»Tante, ich …«

»Vorwärts!«

Halb stößt Tante Yisabella Faith vor sich her, halb schleppt sie sie auf den mit einem zerschlissenen Vorhang verhüllten Eingang der Hütte zu. Unter dem Vordach bleibt sie schwer atmend stehen und wischt sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn. Zum ersten Mal seit sie am frühen Nachmittag aufgebrochen sind, sieht Faith sie zögern. Sie zupft das türkisfarbene Kleid zurecht, das mit dunkelblauen Ornamenten verziert ist, und fingert nervös an ihrem farblich passenden Gele herum, dem turbanartigen Kopfschmuck der nigerianischen Frauen.

Wie schön sie ist, denkt Faith und in ihr erwacht plötzlich wieder diese Entschlossenheit, die sie schon beim allerersten Treffen mit Tante Yisabella verspürt hat. Dieser unbedingte Wille, der sie überhaupt erst hierhergebracht hat.

Faith seufzt unhörbar. Ich kann es schaffen, denkt sie, sie hat es auch geschafft. Und dann werde ich so sein wie sie, wie Tante Yisabella. Schon bald werde ich teure Kleider tragen und einen schwarzen SUV fahren. Ein iPhone und Satellitenfernsehen haben und in einem großen Haus an der Sapele Road wohnen, mit genügend Platz für meine Mutter und die Geschwister. Für Taslima, Tayo und Djmon. Für Joy, wenn sie zurückkommt. Alles wird gut werden. Wir werden reich sein, wir werden glücklich sein. Schon bald.

Ein paar Atemzüge lang betrachtet Tante Yisabella den fleckigen roten Stoff des Vorhangs, der sich im Durchzug sanft bewegt. Sie wirft Faith einen Seitenblick zu. Kurz flackert Mitgefühl über ihre Züge, gerade lang genug, dass es Faith auffällt. Im nächsten Moment presst Tante Yisabella die Lippen zusammen und hebt entschlossen den Kopf.

»Sie ist da!«, ruft sie laut.

Schritte sind zu hören, kurz darauf teilt sich der Vorhang.

»Ek’abo!«, begrüßt der Priester die beiden Frauen mit samtiger Stimme und breitet die Arme aus.

Sein Kopf ist kahl rasiert, die schwarze Haut glänzt wie poliert und seine großen Zähne schimmern weiß. Der rote Kaftan wallt bei jeder Bewegung um seinen mächtigen Körper. Massive goldene Armringe umschließen die Handgelenke, seine Füße sind nackt.

»Bist du bereit?«, fragt der Mann und drückt Faiths Hand.

Wie erstarrt schaut Faith ihn an. Erst als Tante Yisabella sie anstößt, nickt sie eingeschüchtert.

»Faith, ich habe dich gefragt: Bist du bereit?«

»Ja, ich bin bereit«, antwortet Faith und bemerkt, wie dünn und brüchig ihre Stimme mit einem Mal klingt.

»Gut.« Prüfend sieht der Priester sie an.

Er kann sich nicht mehr erinnern, wie viele Mädchen schon so vor ihm gestanden sind. Hunderte. Und alle sind sie wie Faith: hoffnungsvoll und ehrgeizig, gleichzeitig verzweifelt und voller Angst. Und vor allem naiv. Sie sind überzeugt, auf dem Weg in ein besseres Leben zu sein. Auf der Schnellstraße zum Glück.

Faith ist jung, vierzehn, höchstens fünfzehn, ein gutes Alter. Sie wirkt intelligent, etwas widerspenstig vielleicht, doch das wird man ihr austreiben. Karamellfarbene Haut, kaum Akne, das lange Haar zu Strähnchen geflochten. Noch etwas pummelig, aber hübsch. Hübsch genug.

Der Priester nickt. Man bezahlt ihn gut für seine Dienste. Den Teufel wird er tun und dem Mädchen sagen, was es wirklich erwartet.

»Folgt mir«, fordert er die beiden Besucherinnen auf und schiebt den Vorhang zur Seite.

Ein schwüler Tag, einer mehr, die Luft war stickig und feucht, als sie aufgebrochen sind, und hat ihnen die Kleider an den Körper gepappt. Das Thermometer zeigte vierunddreißig Grad an, der Wind kam vom Meer und jagte turmhohe Wolkenberge über die Stadt.

Der schnellste Weg führte über die A 2, eine der Hauptverkehrsadern, die Benin City mit Ekpoma verbindet, streckenweise allerdings wegen gravierender Unwetter- und Altersschäden kaum mehr befahrbar ist. Sie passierten den Kara Market mit seinen bunten Sonnenschirmen und den Verkaufsständen, hinter denen Händler lautstark ihre Waren anpriesen, und dann weiter Richtung Osten, stadtauswärts. Der köstliche Geruch frittierter Jamswurzeln und gegrillter Kochbananen begleitete sie ein Stück weit und irgendwann tauchte zu ihrer Linken die United Mission International auf, ein flaches, lang gezogenes Gebäude, das pistaziengrün und schokobraun gestrichen war und in dem sonntags um halb acht Gottesdienste abgehalten werden.

An der NNPC-Tankstelle machten sie kurz Rast, setzten sich auf einen der vielen herumliegenden Autoreifen und tranken Wasser aus der mitgebrachten Plastikflasche. Unablässig donnerten Autos vorbei und der aufgewirbelte Straßenstaub trieb ihnen Tränen in die Augen. Tante Yisabella hatte ihren SUV in der Garage stehen lassen, weil die Gegend, in die sie mussten, »nicht sicher« sei, wie sie betonte. Und Busse waren ihrer Meinung nach sowieso unzuverlässig.

Nach einem halben Kilometer kamen sie an einer weiteren Kirche vorbei. Beacon of Light hieß sie und warb mit einem Straßenplakat, auf dem der Bishop und die Reverends in lila und rosa glänzenden Roben abgebildet waren, um den Hals trugen sie schwere Goldketten mit Kreuzen.

Fünf Minuten später bogen die beiden Frauen in die Urora Road ein. Es war genau dort, wo Tante Yisabella Faith an der Hand nahm und sie für den Rest der Strecke nicht mehr losließ. Sie führte das Mädchen über schmale Seitengassen weiter ins Viertel hinein, an heruntergekommenen Wohnblocks vorbei, vor denen rostige Pick-ups parkten, sich Müllsäcke hinter Bretterverschlägen türmten und Wäsche an Leinen trocknete. Zweimal verlief sich Tante Yisabella und musste nach dem Weg fragen, dann hetzten sie jeweils zur richtigen Gabelung zurück und gelangten immer tiefer in ein Labyrinth mit schlammigen Pfaden, auf denen Hühner herumspazierten und halb nackte Kinder Fußball spielten, mit übel riechenden Abwasserkanälen und bruchreifen Hütten unter Wellblechdächern. In eine Gegend, in der die Straßen keine Namen mehr trugen.

Bestialischer Gestank schlägt ihnen entgegen, kaum haben sie den Vorraum des Schreins betreten. Faith wird auf der Stelle übel, ein Würgen schnürt ihre Kehle zu. Sie presst sich hastig die Hand vor den Mund. Die Hitze im Zimmer ist unerträglich und die Luft zum Schneiden dick, der ekelerregend klebrige Geruch von Fäulnis und Verwesung erfüllt den Raum. Die Gardinen sind zugezogen, durch den fadenscheinigen Stoff dringt das verwaschene Licht der einsetzenden Dämmerung und lässt Umrisse aus dem Halbdunkel hervortreten, eine Vielzahl von rundlichen Gegenständen, auf Tischen und Teppichen am Boden aufgereiht, deren Konturen ineinanderzufließen scheinen.

Die beiden Frauen folgen dem Priester, der sich traumwandlerisch durch die Auslagen bewegt, ohne irgendwo anzustoßen oder etwas umzukippen. Als er den Vorhang auf der gegenüberliegenden Seite lüftet und ein fahler Lichtstrahl kurz den Raum erhellt, stößt Faith vor Entsetzen einen Schrei aus.

Hunderte von Affenschädeln reihen sich dicht an dicht auf den Tischen und glotzen sie mit leeren Augenhöhlen an. An manchen Köpfen kleben noch Fell und eingetrocknete Fleischfetzen, die Gebisse sind fleckig braun verfärbt, die Reißzähne riesig. Faiths Blick fliegt panisch durch die Kammer. Auf den Teppichen liegen weitere Tierköpfe, das ganze Zimmer ist voll davon: Hunde, Katzen, Kühe und Büffel, irgendwelche Nagetiere und Schlangen. Sogar zwei Krokodilschädel entdeckt sie, daneben zu Haufen gestapelte Tierhäute, Knochen, Hörner, abgetrennte Pfoten und Hufe. Entlang der Wände stehen tönerne Amphoren und Flaschen mit Korkverschlüssen, die mit dunklen Tinkturen gefüllt sind.

»Faith, kommst du?« Die sanfte Stimme des Priesters reißt sie aus der Schockstarre, er lächelt beruhigend, da er bemerkt hat, wie aufgewühlt das Mädchen ist. »Fetische. Dinge, die ich für meine Arbeit benötige«, erklärt er und legt seine Hand auf Faiths Schulter.

Mit weit aufgerissenen Augen schaut ihn Faith an.

Eine geräumige Halle mit senfgelb gestrichenen Wänden und einem groben, von rostbraunen Flecken übersäten Betonboden bildet das Zentrum des Schreins. Auch hier ist alles abgedunkelt, die Fensterläden sind geschlossen, Dämmerlicht fällt in blassen Streifen durch die Lamellen. In den Ecken flackern Kerzen auf dem Boden, an den Wänden hängen grimmig blickende Holzmasken.

Auf ein geheimes Kommando hin stellen sich die Trommelspieler, die Faith schon draußen gehört hat, in einem Halbkreis vor den Neuankömmlingen auf. Die Männer tragen weite Hosen in bunten Farben, ihre Oberkörper sind nackt und glänzen vor Schweiß, die Gesichter stoisch. In monotonem Takt schlagen sie die Felle, bis unvermittelt eine Gruppe Frauen aus einem weiteren Nebenraum hereinkommt. Sie tragen ebenfalls farbenfrohe Kleidung und passenden Kopfschmuck. Der Priester nickt, worauf sie zu tanzen und zu singen beginnen, rhythmische Verse in Yoruba, die sie wie ein Mantra wiederholen. Dennoch versteht Faith kein Wort. Das Blut dröhnt in ihren Ohren, ihr Herz rast. Schwindel erfasst sie. Die Trommelschläge werden immer schneller, lauter, der Rhythmus pulsiert durch ihren Körper. Alle tanzen jetzt im Kreis um sie herum. Faith dreht sich um die eigene Achse und hält verzweifelt Ausschau nach Tante Yisabella, kann sie aber nirgendwo entdecken. Da ist bloß noch dieser Reigen gleichgültiger Gesichter und offener Münder, die unablässig das Gleiche singen.

Mit einer geschmeidigen Bewegung wendet sich der Priester Faith zu und lächelt. Ihr Atem setzt kurz aus, sobald sie das Huhn sieht, das er plötzlich unter dem Arm hält. Im nächsten Moment streckt er ihr die Faust entgegen und öffnet sie behutsam. Ein flauschiges Küken sitzt auf seiner Handfläche.

Der Priester schaut Faith direkt in die Augen, entgeistert weicht sie zurück. Alle Freundlichkeit ist aus seinem Blick verschwunden und hat etwas anderem Platz gemacht. Etwas Unberechenbarem, Bösartigem, als hätte er sich in einen komplett anderen Menschen verwandelt.

Mit raschen Schritten verschwindet der Priester im Nebenraum, aus dem vorher die Frauen gekommen sind, und einer der Trommler gebietet der Versammlung Einhalt. Sofort verstummt die Musik, niemand rührt sich mehr. Sekundenlang geschieht gar nichts, die Stille wird nur vom aufgeregten Gackern des Huhns durchbrochen. Dann ist ein dumpfer Schlag zu hören und gleich darauf erklingt von nebenan ein lang gezogener Ton.

Die Musiker weichen zur Seite, die nackten Fußsohlen verursachen ein schleifendes Geräusch auf dem harten Boden. Rasch bildet sich eine Gasse, an deren einem Ende Faith steht. Ihr gegenüber taucht der Priester auf, er hebt das Kuhhorn an die Lippen und bläst erneut hinein, worauf Trommeln und Gesang wieder einsetzen. Er holt mit dem Arm aus, den er hinter dem Rücken verborgen gehalten hat, und wirft etwas Schweres in Faiths Richtung.

Faith schreit schrill auf, da das Huhn direkt vor ihr auf den Boden klatscht. Es flattert hektisch mit den Flügeln, Federn und Staub wirbeln hoch und der Körper dreht sich wie irrsinnig im Kreis. Erst da erkennt Faith, dass dem Tier der Kopf fehlt. Blut quillt in einem dünnen Rinnsal aus der Halsöffnung und besudelt den Beton, ein gallertartiger Fleischfetzen baumelt schlaff aus der Wunde.

Verstört beobachtet Faith, wie der Priester das verzweifelt zappelnde Küken mit den Fingerspitzen an den winzigen Flügeln aufspannt. Ihr Mund öffnet sich zu einem stummen Flehen, vergebens. Ungerührt reißt er das Tier mit einem Ruck entzwei, lässt sich das Blut auf Stirn und Wangen tropfen und verteilt es mit dem leblosen Körper des Kükens auf dem ganzen Gesicht. Anschließend nähert er sich Faith.

»Zieh dich aus!«, befiehlt er ihr und nichts mehr an seiner Stimme ist samtig und weich.

Zögernd tut Faith, was er verlangt, und steigt aus dem grünen Kleid, während Gesang und Trommeln den Raum zum Beben bringen. Sie schiebt das Kleid mit den Zehenspitzen zur Seite und verbirgt ihre nackten Brüste hinter den verschränkten Armen.

»Ganz!«, bellt der Priester.

Trotzig presst Faith die Lippen zusammen. Erst als der Priester eine drohende Bewegung auf sie zu macht, streift sie widerwillig ihren Slip samt der Binde über die Oberschenkel. Sie zittert.

Zwei Frauen bahnen sich einen Weg durch die Menge. Die eine ist mit einer Schere bewaffnet, die andere hält einen fingerhutgroßen Plastikbehälter in der Hand.

Faith weicht zurück. Schlagartig ist der Drang wegzurennen wieder da. Aber das ist der Preis, den sie zahlen muss, wenn sie so werden will wie Tante Yisabella. Faith hat von den Ritualen gehört, vom Versprechen, das man dem Priester geben muss.

Sie schließt die Augen und denkt an den Job als Friseurin, den man ihr in Aussicht gestellt hat. An das Haus an der Sapele Road, in dem sie bald mit ihrer Familie wohnen wird, an ihr neues iPhone, an den SUV. Sie denkt an ihre Mutter, die die Familie mit den am Straßenrand verkauften Zigaretten und Süßigkeiten nicht annähernd über die Runden bringt. Die vor Erschöpfung und Hoffnungslosigkeit krank geworden ist und kaum noch lacht. An den Vater, der nach dem fünften Kind abgehauen ist und die Familie im Stich gelassen hat.

Und sie denkt an Joy. Joy, die jeden Monat Geld schickt, auch wenn es bei Weitem nicht reicht, um die Familie durchzufüttern, geschweige denn, das Schulgeld für vier Kinder zu bezahlen. Joy, der es gut geht. Joy, die in der Schweiz als Babysitterin für eine reiche Familie arbeitet und auf den Fotos immer so fröhlich wirkt. Joy, die es wie Tante Yisabella geschafft hat.

Die Prozedur dauert bloß Sekunden. Die Frauen schneiden ihr eine Haarsträhne ab, schnippeln an den Fingernägeln herum, zupfen zwei, drei Schamhaare aus, füllen ein paar Tropfen Menstruationsblut in den Plastikbehälter und ziehen sich daraufhin zurück.

Sie werden die Opfergaben hinter dem Schrein vergraben, von nun an wird ein Teil ihres Körpers und ihrer Seele immer hier sein. Damit hat sich Faith ausgeliefert, nun hat der Priester die Macht über sie. Etwas in ihr wird eiskalt.

»Knie dich nieder!«

Faith gehorcht.

Der Priester hält ihr einen tönernen Becher hin und fordert sie auf zu trinken. Angeekelt riecht Faith an der trüben Brühe und schiebt das Gefäß von sich, worauf der Priester sie grob an der Schulter packt. Faith wimmert. Der Mann verstärkt den Druck so, dass es wehtut. Schließlich führt sie den Becher an die Lippen. Der erste Schluck lässt sie würgen, der Trunk schmeckt metallisch nach Hühnerblut, nach Erde und bitteren Kräutern. Der Chor jubelt und stößt hohe gurrende Laute aus.

Faith wendet den Kopf ab und weigert sich, einen zweiten Schluck zu nehmen. Wut und Ungeduld verzerren das Gesicht des Priesters, er langt in Faiths Haare und reißt ihren Kopf nach hinten. Jemand tritt neben sie – Faith kann die Person nicht sehen, da der Priester sie schraubstockartig festhält – und zwingt ihren Kiefer gewaltsam auf. Gemeinsam flößen sie ihr das Gebräu ein.

Faith hustet und erbricht einen Schwall Brühe auf den Boden. Der Priester lächelt kalt. Er steht immer noch dicht vor ihr und benommen registriert Faith, dass etwas Metallisches zwischen seinen Fingern aufblitzt.

»Schwöre bei Ogoun, dass du gehorchen wirst, dass du tust, was man dir sagt, und dass du nicht wegläufst. Und dass du die fünfunddreißigtausend Euro zurückzahlen wirst, die Madame für deine Reise ausgeben hat.«

Madame Esther, eine gutherzige Frau, die Faith auf eigene Kosten nach Europa kommen lässt und ihr den Job als Friseurin versprochen hat.

»Denn wenn du nicht gehorchst, wird sich Ogoun rächen. Der Fluch des Juju wird dich und deine Familie ereilen und es werden schreckliche Dinge geschehen.«

Faiths Kehle wird eng. Sie hat von Ogoun gehört, dem Voodoogeist, vom Juju-Fluch, man erzählt sich darüber die unheimlichsten Geschichten in ihrer Nachbarschaft. Von den kerngesunden Vätern, die plötzlich gestorben sind, von kleinen Kindern, die verschwinden, von Geschäften, in denen keiner mehr etwas kauft. Von Frauen, die sich nicht an das Versprechen gehalten haben und die der Juju-Fluch hat verrückt werden lassen, die sich vor den Zug geworfen oder furchtbare Unfälle erlitten haben. Niemand lacht, wenn diese Geschehnisse im Flüsterton herumgereicht werden. Denn sie wissen alle, dass der Fluch real ist. Und dass ihm keiner entkommt, wenn er erst einmal ausgesprochen ist.

»Schwöre es bei Ogoun.«

Eine nie gekannte Angst lähmt Faith plötzlich, sie bringt kein Wort heraus.

»Schwöre, Faith!« Die Stimme des Priesters ist eisig, erbarmungslos, die Rasierklinge reflektiert das Kerzenlicht, während er sie mit raschen Handbewegungen über Faiths Oberkörper tanzen lässt. Blutstropfen quellen aus den winzigen Schnitten, Faith laufen Tränen übers Gesicht.

Ogoun kennt keine Gnade, er findet dich, wo auch immer du dich versteckst. Er hat die Macht, dir alles zu nehmen, dein Leben zu zerstören. Lieber würde Faith sterben, als dass der Familie wegen ihr etwas zustößt. Zitternd holt Faith Luft. Fünfunddreißigtausend Euro. Sie wird hart arbeiten und das Geld zurückzahlen, bis auf den letzten Cent.

Der Priester bedeckt sie über und über mit weißem Puder und murmelt beschwörende Worte.

Faiths Herz hämmert im Takt der Trommeln, die Stimmen der Frauen werden immer eindringlicher. Blut sickert zähflüssig über ihren nackten, weiß bestäubten Oberkörper, sie kann es spüren.

»Faith! Schwöre!«

Und sie senkt den Kopf und schwört.

2

Der Mond ein klauenscharfer Riss im brodelnden Himmel, die Nacht dreht noch einmal alle Regler hoch. Der Bass wummert und jeder gönnt sich eine letzte Line, bevor die Lichter verglimmen und die Wut, von Alkohol, Koks und Enttäuschung befeuert, durch die Straßen tigert.

Bashir Berisha lässt sich gegen die Hauswand fallen und schließt die Augen. Jetzt, nachdem sich das Gewitter verzogen hat, ist die Luft kühl und frisch, ein leichter Nieselregen fällt. Verzerrt spiegelt sich der Neonschriftzug der Bäckerei schräg gegenüber in den Pfützen, Straßenlaternenschein flimmert über den nassen Asphalt.

Acht Stunden vor dem Eingang des Klubs, Bashir fühlt sich wie von einem Güterzug überfahren. Regentropfen glitzern in seinem braunen Haar, das er seit Neustem kurz geschnitten trägt, ein kantiges Gesicht, der Fünftagebart ist ums Kinn herum weiß gesprenkelt. Das schwarze T-Shirt mit dem aufgedruckten Emblem des Klubs auf dem Rücken gehört zur Uniform, ebenso die schwarze Cargohose und die Lederstiefel. Seit er mit Aikido begonnen hat, ist sein Körper sehniger geworden, die Bewegungen präziser, der Geist wacher.

Üblicherweise fallen den Partygängern, die am Einlass von ihm kontrolliert werden, zwei Dinge an Bashir auf: erstens seine Augen. Ihr durchdringendes Hellblau erinnert an Gletschereis und kontrastiert auf attraktive Weise mit seinen dunklen Gesichtszügen. Und dann ist da zweitens diese gut sichtbare Narbe, die sich von der Schläfe quer über die linke Wange zieht.

Acht Stunden. Acht Stunden Betteln, Drohen, Schreien, verzweifeltes Flirten – nach knapp einem Jahr braucht Bashir einen einzigen Blick, um zu entscheiden, wer reindarf und wer besser draußen bleibt. Er kann den Alkoholpegel eines Gastes förmlich sehen, wie viele und welche Drogen er intus hat, sein Aggressionspotenzial. Schlägereien sind schlecht für den Ruf eines Lokals, am vergangenen Wochenende haben Bashir und sein Kollege nur knapp eine Messerstecherei verhindern können. Ein Fressen für die Boulevardmedien, wäre es so weit gekommen.

Wenn es nötig ist, setzt er die Fäuste ein, die einzige Waffe, über die er verfügt. Gegen betrunkene Frauen hilft je nach Fall Gleichgültigkeit oder einfühlsames Zureden, trotzdem kann beides jäh zu Zorn und unhaltbaren Anschuldigungen führen. Vor wenigen Monaten ist ein Kollege von einer komplett betrunkenen Studentin, der er den Zutritt verwehrt hat, der Vergewaltigung bezichtigt worden. Nüchtern zeigte sie sich zwar reuig, die Angelegenheit endete für die junge Frau dennoch vor Gericht.

Acht Stunden Hölle, zweimal jedes Wochenende, Bashir braucht das Geld, sein eigenes Unternehmen läuft miserabel. Milde ausgedrückt.

Bashir schlägt die Augen auf. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite torkeln zwei Männer um die vierzig vorbei, sie wirken betrunken und sehen sich gierig um. Vermutlich suchen sie die Prostituierten drüben in der Kanonengasse. Beide tragen ausgebeulte Jeans und Sweatshirts mit Kapuzen, fleckige Sneaker an den Füßen. Einer der beiden Typen taxiert Bashir herablassend, bevor er seinem Begleiter mit einer halblauten Bemerkung den Arm um die Schulter legt. Der andere grölt schmierig, dreht sich kurz nach Bashir um, lachend gehen sie weiter.

Die Tür des Klubs wird aufgestoßen und eine Horde Jungs taumelt in den frühen Morgen. Blasse Kindergesichter und Pupillen wie Satzzeichen, Designerklamotten im Straßenlook, dazu diese überhebliche Haltung, die Bashir zur Genüge kennt. Koks hebelt die Relationen aus.

Benommen rotten sich die Burschen auf dem Gehsteig zusammen und zünden sich Zigaretten an, es dauert immer eine Weile, bis sie sich wieder in der Realität zurechtfinden.

»Hey, Shipi!«, ruft einer von ihnen Bashir zu.

So großspurig, wie er an der Fluppe zieht, ist er das Alphamännchen der Gruppe. Prompt sehen alle zu Bashir herüber, der zur Antwort nur knapp das Kinn hebt. Albaner sind in dieser Stadt nun mal die Shipis. Von manchen akzeptieren sie diese Bezeichnung, andere riskieren eine gebrochene Nase. Doch Bashir lässt sich nicht so leicht provozieren, nicht mehr. Ausdruckslos fixiert er den Jungen und etwas in dessen Haltung schrumpft zusammen.

»Eine Frage.«

Glück gehabt. Bashir zieht eine Augenbraue hoch.

»Wo läuft um diese Zeit noch was?«

»Google. Kennste?«

Die anderen lachen und der Junge kriegt einen knallroten Kopf. Wut wallt in seinem Blick auf, er ballt die Hände zu Fäusten. Er weiß, dass er gegen Bashir unweigerlich den Kürzeren ziehen wird. Zweimal in Folge kann er sich das als Anführer nicht leisten. Verächtlich spuckt er auf den Boden und fordert seine Schafherde auf, ihm zu folgen. Die einzige Möglichkeit, die ihm bleibt, um seine Würde zu bewahren. Stolpernd verschwinden sie Richtung Bahnhof, an den dunklen Durchgängen zu den Hinterhöfen vorbei, die die Straße säumen.

Am Horizont kündigt sich die Dämmerung an, die letzten Gewitterwolken nehmen den Regen mit. Die beiden Betrunkenen mit den gierigen Blicken sind verschwunden. Vorne an der Langstrasse bewegt sich der Verkehr seit Stunden bloß im Schritttempo. Zürichs Ausgehmeile ist selbst im September weihnachtlich hell erleuchtet. Es wimmelt von Menschen, die unablässig aus den Bars und Klubs gespült werden, es ist laut und aufgeregt, die Taxifahrer sind im Dauereinsatz, die Polizei patrouilliert in weißen Kastenwagen.

Das Klacken von Absätzen durchdringt hell die konstant rauschende Geräuschkulisse, eine Frau biegt in die Seitenstraße ein. Ihre Locken hüpfen bei jedem Schritt, Wellen aus Kupfer und Gold, die sich über ihre Schultern ergießen. Sie trägt eine perfekt passende grüne Brille, die Gesichtszüge rundlich und weich, ihr Kinn allerdings ist markant und entschlossen vorgeschoben. Am Ohr das Telefon, sie spricht leise, tröstend.

Italienerin, denkt Bashir, am anderen Ende der Leitung trotz der frühen Stunde ein Kind. Ihr Kind.

Der graue Hosenanzug wirkt eine Spur zu förmlich, als käme sie von einem Businessmeeting, eine weiße Bluse darunter, dazu dunkle Pumps, die sie größer machen, ein paar maßgebende Zentimeter holt sie damit auf jeden Fall raus.

Die Frau weicht zwei Mädchen aus, die gerade aus dem Klub getreten sind und sich benebelt umsehen, sie streift dicht an Bashir vorbei, so nah, dass er ihr Parfüm riechen kann. Ein warmer Duft, Sandelholz vielleicht. Die Frau reicht ihm bis zur Brust. Noch immer spricht sie ins Telefon, beschwörend jetzt.

»Ich bin ja unterwegs«, hört er sie mit sanfter Stimme sagen. »Leg dich wieder hin.«

Wieder geht die Tür des Klubs auf und ein Bursche mit blond gefärbter Frisur fragt lallend nach dem Weg zum Escher-Wyss-Platz. Bashir erklärt ihm, welchen Bus und welches Tram er nehmen und wo er umsteigen muss, und nachdem sich der junge Mann auf den Weg gemacht hat, schaut sich Bashir nach der Frau mit den kupferfarbenen Locken um. Sie ist nirgends zu entdecken.

So schnell kann sie gar nicht bis ans Ende der Straße gelangt sein, denkt Bashir verwundert und fragt sich, ob sie in einem der Hauseingänge verschwunden ist. Mittlerweile kennt er – zumindest vom Sehen – alle Bewohner in der Nachbarschaft und diese Frau wäre ihm garantiert aufgefallen.

Kopfschüttelnd wendet er sich ab, weil gerade weitere Gäste den Klub verlassen, und hätte deshalb beinahe den unterdrückten Schrei überhört, der aus einem der Hinterhöfe dringt. Bashir stutzt, lauscht, aber nun ist nichts mehr zu vernehmen. Sofort setzt er sich in Bewegung und spurtet die wenigen Meter zum nächsten Durchgang.

Wegen der hohen Hausmauern ist es dunkler im Innenhof als auf der Straße. Kopfsteinpflaster, rechts reihen sich Müllcontainer aneinander, die Wände sind mit Graffiti vollgesprüht. Der rote Volvo steht, vom Gehsteig aus nicht zu sehen, in der hintersten Ecke des Hofs.

Einer der beiden Männer beugt sich über die Frau, hält ihre Handgelenke fest und presst sie auf die Motorhaube des Wagens. Der Rock ist hochgeschoben und gibt den Blick frei auf die Unterwäsche, ihre Anzugjacke aufgerissen und bis zu den Ellenbogen heruntergezerrt. Die Bluse darunter in Fetzen, ein Büstenhalter und nackte Haut schimmern matt in der Dunkelheit.

Der zweite Typ macht sich derweil fiebrig am Reißverschluss seiner ausgebeulten Jeans zu schaffen, er grunzt vor Lust und Vorfreude. Die Frau wirft sich herum, versucht sich zu befreien, doch der Kerl mit dem Kapuzenshirt lacht bloß und hält sie mit eisernem Griff fest. Sie haben ihr ein Taschentuch in den Mund gestopft, damit man ihre Schreie nicht mehr hört.

Ehe Bashir eingreifen kann, rammt die Frau ihrem Widersacher die Spitze ihres Schuhs in den Schritt. Alles spielt sich in Sekundenbruchteilen ab. Der Kerl jault auf, sein Oberkörper klappt zusammen. Sofort kickt sie nach, worauf der Kerl ihre Handgelenke loslässt und zurücktaumelt, mit einem Wimmern sinkt er auf die Knie, die Hände verkrampft zwischen den Beinen. Blitzschnell richtet sie sich auf, stützt sich auf der Motorhaube ab und rutscht nach vorne, gleichzeitig zieht sie das Bein an. Dann tritt sie zu, mit voller Wucht. Bashir hört Zähne zusammenschlagen, sieht den Kopf zur Seite fliegen. Spucke und Blut spritzen auf die Pflastersteine. Ein weiterer Tritt und mit einem trockenen Knacken bricht der Kiefer.

Mittlerweile hat Bashir dem anderen Kerl, der, die Hand nach wie vor am Hosenschlitz, mit glasigem Blick die Szene verfolgt hat, den Arm auf den Rücken gedreht. Er brüllt vor Schmerz, ein winziger Ruck würde genügen, um seine Schulter auszukugeln.

»Alles unter Kontrolle«, ruft Bashir der Frau zu, die von der Motorhaube springt, die Anzugjacke vor der Brust zuhält und hektisch nach ihrer Handtasche langt, die auf den Boden gefallen ist. »Beruhigen Sie sich, Ihnen kann nichts mehr passieren.«

Seine Worte erreichen sie nicht, sie reagiert überhaupt nicht auf seine Zurufe. Adrenalin, denkt Bashir. Nach einer solchen Situation ist sie bis obenhin voll damit.

Die Frau richtet sich auf und Bashir erkennt das Pfefferspray in ihrer Hand.

»Alles gut! Bleiben Sie stehen!«, schreit ihr Bashir entgegen, da sie mit schnellen Schritten und ausgestrecktem Arm auf die beiden Männer zukommt.

Sie hört ihn nicht. Er vernimmt noch das Zischen, der Kerl vor ihm kreischt. Einen Wimpernschlag später steht Bashirs Gesicht in Flammen, seine Augen brennen, als würde die Hornhaut mit Säure verätzt. Die Lider schwellen innerhalb von Sekunden an und klappen zu, ohne dass er etwas dagegen tun kann. Tränen schießen ihm aus den Augenwinkeln und einen beängstigenden Moment lang hat er das Gefühl zu ersticken.

3

»Was tut sie?« Die Männerstimme am Telefon klingt angespannt.

»Sitzt im Café Lang am Limmatplatz …«

»Draußen oder drinnen?«

»Draußen auf der Terrasse. Trinkt Latte macchiato.«

»Wie lange schon?«

»Sie hat sich vor«, Bashir wirft erst einen Blick auf seine Notizen und dann auf seine Armbanduhr, »neunzehn Minuten hingesetzt. Um vierzehn Uhr achtundzwanzig.«

»Ist sie …?«

»Ja, sie ist allein.«

»Handy?«

»Auf dem Tisch.«

»Wie lange wird sie bleiben, was glauben Sie?«

»Ich bin Privatdetektiv, Herr Marolf, kein Hellseher.«

»Schätzungsweise.«

»Keine Ahnung.«

Marolf stöhnt. Er spricht in breitem Berner Dialekt, von der Behäbigkeit der Sprache ist bei ihm allerdings nichts zu merken, er stößt die Worte hervor, als stünde er unter größtem Zeitdruck.

»Ist das wichtig?« Bashir lässt die Frau nicht aus den Augen, während er herumschlendert.

Das Lokal liegt einen Steinwurf entfernt auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Von der belebten Traminsel mitten auf dem Limmatplatz aus kann er Frau Marolf unauffällig beobachten, ohne dass sie auf ihn aufmerksam wird.

»Nein, nein, selbstverständlich nicht. War nur ’ne Frage.«

Frau Marolf ist eine sportliche Mittvierzigerin mit brünetter Kurzhaarfrisur, die sie jünger aussehen lässt, und einer Vorliebe für ausgefallene Handtaschen. Extravagante und zweifellos kostspielige Kontraste zu ihrer zwar eleganten, aber etwas förmlichen Garderobe.

In den drei Tagen seiner Beschattung hat Bashir nicht das geringste Anzeichen für die angebliche Untreue feststellen können, wegen der ihr Gatte ihn engagiert hat. Vielmehr ist Frau Marolf dermaßen beschäftigt mit ihren diversen Wohltätigkeitsprojekten, den Mittagessen mit Freundinnen oder Geldgebern, Yogalektionen und abendlichen Treffen mit Projektleitern und weiteren Geldgebern, dass sie gar keine Zeit für eine Affäre gehabt hätte. Beinahe unablässig bewegt sie sich kreuz und quer durch die Stadt und dass sie jetzt seit zwanzig Minuten in einem Café sitzt, ohne jemanden zu treffen oder zu telefonieren, ist die absolute Ausnahme.

»Sie behalten sie im Auge, ja?«

»Natürlich.«

»Ich rufe wieder an.«

Bashir steckt das Handy ein. Marolf nervt. Im Halbstundentakt ruft er an, um nachzufragen, was seine Frau gerade macht und wo sie ist. Wäre er auf den Verdienst nicht so dringend angewiesen gewesen, Bashir hätte den Auftrag gekündigt.

Er spaziert einmal um die Traminsel, ringsherum kreist der Autoverkehr, ein blau-weißer Bus der Zürcher Verkehrsbetriebe kollidiert fast mit einem unachtsamen Velofahrer. Frau Marolf hat nun doch zum Telefon gegriffen und führt, nach ihrer Mimik und den ausholenden Handbewegungen zu urteilen, ein angeregtes Gespräch.

Eine Straßenbahn der Linie 4 fährt ein. Menschen drängen sich ungeduldig vor den Einstiegen, die Türen gleiten auf und Bashir tritt zur Seite, um die aussteigenden Passagiere durchzulassen.

Sie steht so unvermittelt vor ihm, dass er zusammenzuckt. Sie hat geweint, das kann Bashir sehen, ihre Wimpern glitzern feucht, die Lider sind gerötet. Ihr kupferrotes Haar hat sie zurückgebunden, sie trägt ein cremefarbenes Kleid, das einen Tick zu elegant ist für einen Mittwochnachmittag, selbst in Zürich, und Schuhe mit hohen Absätzen, natürlich.

Die Frau erkennt ihn sofort, erblasst und weicht zurück, sieht sich nach einem Fluchtweg um.

Beschwichtigend hebt Bashir die Hände. »Warten Sie. Ich habe Ihr Handy.«

Sie stutzt.

In eine Ecke des Hinterhofs hingekauert und vor Schmerz stöhnend, so hat ein Kollege Bashir am frühen Freitagmorgen gefunden und ihn daraufhin in den Klub zurückgeschleppt. Wo sich Bashir immer wieder die Augen ausgewaschen und das Gesicht unter den Wasserhahn gehalten hat. Nach einer Stunde konnte er wieder normal sehen, das Brennen klang allerdings erst am nächsten Tag ab. Bashirs Glück war, dass er hinter dem Typen stand, als die Frau das Pfefferspray einsetzte, und deshalb nicht ganz so viel davon abbekommen hat. Zu seinem Ärger waren die beiden Angreifer verschwunden, bevor der Kollege eintraf. Eine entsprechende Meldung an die Polizei wurde ihm aber vom diensthabenden Leiter des Sicherheitsdienstes untersagt, weil sich ein Streifenwagen vor einem Klub nie gut mache, wie er kurz angebunden meinte. Und schließlich sei ja nichts passiert.

Später, nachdem Bashir zum Tatort zurückgekehrt war, stieß er per Zufall auf das Handy, das der Frau beim Übergriff wohl heruntergefallen und unter den Volvo gerutscht war.

Fordernd streckt die Frau die Hand aus. »Geben Sie es mir. Ich habe danach gesucht.«

Bashir greift in die linke Innentasche seiner Jacke, hält abrupt inne, überprüft die rechte Seite. Nichts.

»Mist, ich Idiot habe das Handy in der anderen Jacke …«

Sie verzieht die Mundwinkel. »War ja klar.«

»Echt jetzt. Ich weiß, wie das klingt.«

»Und was nun?«

»Ich kann es zu einem vereinbarten Treffpunkt bringen. Oder per Post schicken, wenn Ihnen das lieber ist.«

Sie verschränkt die Arme vor der Brust und sieht der Straßenbahn hinterher, die gerade die Tramstation verlassen hat. Eine Haarsträhne hat sich gelöst und bewegt sich leicht im Fahrtwind.

»Sind Sie okay?«

»Sehe ich irgendwie nicht okay aus?«

»Wegen Freitagnacht, meine ich.«

»Alles bestens.«

»Ich wollte bloß helfen.«

»Ich komme gut allein zurecht, haben Sie ja gesehen«, zischt die Frau und presst die Lippen zusammen. »Warum waren Sie überhaupt da?«

»Ich bin Türsteher im Klub nebenan.«

»Aha.«

»Wenn nicht Ihr Pfefferspray dazwischengekommen wäre, hätten wir die beiden Kerle erwischt.«

Sie sagt nichts, atmet tief aus.

»Zeigen Sie die Typen an«, rät ihr Bashir, ehe die Gesprächspause peinlich wird.

Sie zuckt mit den Schultern.

»Das sollten Sie unbedingt tun.«

Sie wirft ihm einen unergründlichen Blick zu. »Hören Sie, ich muss weiter …«

»Was ist mit dem Handy?«

»Wo wohnen Sie?«

Bashir nennt ihr eine Adresse in Schlieren. Niemandsland am Rand der Stadt. Nicht mehr urban und noch weit von der Einfamilienhäuseridylle der mittelländischen Agglomerationen entfernt, ein Ort, der wie ein Abszess an der Bahnlinie klebt. Knapp zwanzigtausend Einwohner, die Hälfte davon Ausländer. Heruntergekommene Wohnblocks, Fabrikareale und gesichtslose Bürokomplexe, die unvermeidlichen Start-up-Unternehmen haben sich angesiedelt, es gibt eine Druckerei und einen Fernsehsender, den keiner schaut. Sony und Mercedes-Benz haben hier ihre Schweizer Hauptsitze.

Die Frau sieht flüchtig auf ihre Armbanduhr. »Heute Abend um sechs. Halten Sie das Gerät bereit.«

4

Sie verspätet sich um zwanzig Minuten. Mit einem schwungvollen Manöver fährt sie vor das Doppeltor der Lagerhalle mit den eingelassenen Glasscheiben und hält mitten auf dem Vorplatz an. Sie steigt aus und verharrt in der offenen Fahrertür.

»Ziemliche Beule«, meint Bashir, der im Freien auf sie gewartet hat, und deutet auf die Delle am Heck des knallroten Renault Modus.

»Sparen Sie sich den Small Talk. Haben Sie das Telefon?«

Bashir hält das Handy in die Höhe und steigt die wenigen Stufen hinunter, die zu seinem Büro führen. Ein winziges Haus, das wie angeklebt rechts vor der petrolblauen Wellblechfassade der Lagerhalle steht, etwas mehr als zwei Meter breit und sieben lang. Ein Schrägdach, zwei Räume, Bad mit Toilette und eine kleine Küche. Die Farbe des Verputzes ist dermaßen abgeschossen, dass niemand mehr sagen kann, ob sie einst grün oder blau gewesen ist.

Wortlos schnappt sich die Frau das Handy.

»Wie heißen Sie eigentlich?«, will Bashir wissen.

Sie ist bereits im Begriff, wieder in den Renault zu steigen, und schaut mit spöttischem Blick auf. »Wieso? Wollen Sie mir eine Weihnachtskarte schicken?«

Wortlos sieht Bashir auf die Gleise, die nur wenige Meter neben der Lagerhalle vorbeiführen. Achtundzwanzig Züge stündlich, er hat sich daran gewöhnt.

»Verzeihen Sie, das war unmöglich.« Die Frau richtet sich wieder auf, kommt auf ihn zu und streckt ihm die Hand entgegen. »Marisa. Marisa Greco.«

»Italienerin?«

»Zweite Generation. Und Sie?«

Bashir nennt ihr seinen Namen.

»Albaner?«

»Zweite Generation.«

Marisa lächelt zum ersten Mal.

»Sie waren spät unterwegs«, bemerkt Bashir nach einer Verlegenheitspause.

»Ein Auftrag.«

»Oh.«

Sie lacht. »Klingt nach Geheimdienst. In Wahrheit habe ich einem Studenten geholfen, seine Masterarbeit zu korrigieren. Eine kurzfristige Anfrage, Abgabetermin am Montag. Deswegen haben wir die ganze Nacht durchgeackert.«

»Das ist Ihr Job?«

Marisa wiegt den Kopf. »Eine lange Geschichte. Momentan mache ich alles, was Geld einbringt.« Sie zögert, streicht sich eine Strähne hinters Ohr und wirft einen Blick auf das Häuschen. »Ich muss weiter. Vielen Dank für …« Abrupt hält sie inne, kneift die Augen zusammen und beugt sich vor. »Sind Sie etwa Privatdetektiv? Das steht doch da auf dem Schild neben der Tür, oder?«

»Richtig.«

Misstrauen schleicht sich in ihre Stimme. »Sie haben aber gesagt Türsteher.«

»Der Laden läuft nicht.«

»Kein Wunder.«

»Wie meinen Sie das?«

»Sorry!« Marisa schlägt sich die Hand vor den Mund. »Ich wollte nicht …«

»Nein, nein, spucken Sie es aus.«

»Ich kann manchmal einfach nicht meine Klappe halten.«

»Raus damit.«

Marisa seufzt. »Weil das alle machen. Es gibt viel zu viele Privatdetektive.«

»Ich kann nichts anderes.«

»Lassen Sie sich von einer Sicherheitsfirma anstellen.«

»Ich arbeite lieber selbstständig. Vorgesetzte sind mir ein Gräuel.«

Ein angedeutetes Lächeln. »Ich leide unter derselben Allergie.«

»Die beiden Tage vor dem Klub halte ich nur aus, weil der Chef normalerweise nicht auftaucht.«

»Vielleicht sollten wir uns impfen lassen.«

Konsterniert sieht Bashir sie an. »Wogegen?«

Marisa schüttelt den Kopf. »Vergessen Sie’s. Wovon leben Sie dann? Der Job als Türsteher reicht ja sicher nicht zum Durchkommen.«

Bashir weist auf das Häuschen. »Die Miete ist lächerlich, das Büro dient gleichzeitig als Wohnung und umgekehrt. Und ich kann Ihnen verraten, wo es die besten Dosenravioli gibt.«

Marisa grinst. »Und ich dachte schon, Sie hätten gar keinen Humor.«

Bashir errötet leicht. »Also, was würden Sie ändern?«

»Bieten Sie etwas an, das sich niemand sonst traut.«

»Was denn, zum Beispiel?«

»Keine Ahnung. Finden Sie eine Marktlücke.«

»Verstehen Sie etwas davon?«

»Nicht die Spur. Aber ich bin gut in Problemlösungen. Außerdem habe ich Fantasie.«

»Wie hoch ist Ihr Stundensatz?«

»Ein Glas Rotwein, ich schulde Ihnen was.«

»Haben Sie jetzt Zeit?«

Marisa wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Eine knappe Stunde.«

»Ich habe nur Tee da.«

»Zur Not akzeptiere ich auch den.«

5

»Wie oft meldet er sich?«

»Alle dreißig Minuten.«

»Hast du ihn schon mal von dir aus zurückgerufen?«

»Dazu komme ich gar nicht erst.«

»Tu es.«

»Was?«

»Ruf ihn an. Jetzt.«

Bashir holt sein Handy hervor, entsperrt es und drückt auf Marolfs Kontakt. Während er darauf wartet, dass sich die Verbindung aufbaut, beobachtet er Marisa, die mit einer dampfenden Tasse Hibiskus-Hagebutten-Tee in der Hand durch sein Büro schlendert und alles interessiert mustert. Als befände sie sich in einem Museum.

Sie haben begonnen, sich zu duzen, kaum hatte Bashir den Wasserkocher in Betrieb gesetzt und ein paar Kekse aufgetischt.

»Herr Berisha, was gibt es?« Marolf ist außer Atem, als er den Anruf endlich entgegennimmt.

»Ihre Frau ist jetzt beim Yoga. Üblicherweise dauert das bis zwanzig Uhr.«

»Ich weiß, ich weiß, vielen Dank für das Update. Machen Sie Feierabend, Berisha.«

Das hat Bashir bereits kurz nach halb sechs gemacht, in dem Moment, in dem Frau Marolf im Yogastudio verschwunden ist.

»Herr Marolf …«

»Ich melde mich morgen wieder.«

Jäh bricht Marolf den Anruf ab und Bashir fixiert Marisa.

»Er war nicht allein, nicht wahr?«

»Da hat eine junge Frau im Hintergrund gekichert. Woher wusstest du das?«

»Männer.« Marisa zuckt mit den Schultern. »Deshalb will er immer genau wissen, wo seine Alte ist. Damit sie nicht unerwartet zu Hause aufkreuzt und ihn bei einem seiner Schäferstündchen überrascht.«

Bashir verschränkt die Arme hinter dem Kopf und lehnt sich in seinem Schreibtischsessel zurück, das einzige Möbelstück in seinem Büro, das neu aussieht. Tatsächlich hat jemand in der Nachbarschaft den Stuhl auf der Straße deponiert, vor einem Umzug vermutlich, und Bashir hat ihn am Morgen nach seiner Schicht als Türsteher mitgenommen.

Marisa setzt sich auf die Tischkante und lässt ein Bein baumeln. »Ist das momentan dein einziger Kunde?«

»Ja.«

»Das muss sich ändern. Lass mich mal kurz überlegen.«

Abwartend beobachtet Bashir sie, wie sie angestrengt in die Teetasse starrt.

Marisa Greco. Ehemalige Flugbegleiterin, so viel hat sie ihm verraten, ein achtjähriger Sohn, den Vater hat sie bislang nicht erwähnt. Bashir schätzt sie auf sechsundvierzig, etwas älter als er. Wegen des Jungen hat sie vor einem halben Jahr den Job aufgegeben. Das ständige Unterwegssein lasse sich schlecht mit ihren Aufgaben als neuerdings alleinerziehende Mutter vereinbaren, hat sie erklärt, während er den Tee aufgoss.

Dann der knallharte Aufprall in der Realität.

»Hey, ich habe fünfundzwanzig Jahre lang alles gemacht, was der Job dir abverlangt. Die meisten Leute denken, wir fliegen einfach ein bisschen in der Welt herum, gehen in New York shoppen, essen Sushi in Tokio oder liegen in Brasilien am Strand. Tun wir natürlich, wenn wir endlich am Ziel sind. Aber die acht, zehn, zwölf Stunden davor ist reinste Knochenarbeit angesagt. Dreihundert Leute, und alle wollen etwas von dir. Ich war Kellnerin, Sommelière, Auskunftsbüro und Reiseplanerin, Krankenschwester, Babysitterin, Arzthelferin, Seelsorgerin, Psychotherapeutin, Altenpflegerin, Übersetzerin, ich habe kaputte Brillen geflickt und Menschen wiederbelebt, habe Flugangstkandidaten Händchen gehalten, bei Turbulenzen Leute beruhigt und geholfen, ein Baby zur Welt zu bringen. Ich weiß, wie Juden, Moslems und Buddhisten ticken, kenne die Gepflogenheiten und Marotten der Inder, der Japaner, der Amis, spreche fünf Sprachen. Und ich kann mich notfalls innerhalb kürzester Zeit in ein Team einfügen, das aus Leuten besteht, die ich nie zuvor gesehen habe. Auf dem Arbeitsamt kriegst du dann zu hören, dass du in den letzten Jahrzehnten leider nur Tabletts verteilt und eingesammelt hättest und deswegen schwer zu vermitteln seist.«

Sie war außer sich, als sie ihm den Grund für ihre Tränen am Limmatplatz verriet. Ihr Rossschwanz pendelte wild in ihrem Nacken, die Hände flogen durch die Luft, die Wut erfasste ihren ganzen Körper.

»Und jetzt stehe ich allein da mit einem Kind, das im Unterhalt immer teurer wird, und erledige Büroarbeiten, fülle Steuerformulare aus, korrigiere Masterarbeiten. Alles, was Geld einbringt.«

»Ich glaube, ich hab’s!« Unternehmungslustig hüpft Marisa vom Schreibtisch und marschiert durch das Büro. »Erst einmal musst du den Raum neu möblieren.« Sie rudert mit der freien Hand in der Luft, während sie in der anderen immer noch die Teetasse hält.

»Keine Kohle.«

»Brauchst du auch nicht, auf jeden Fall nicht viel. Der Schreibtisch muss weg, er schafft bloß eine Barriere zwischen dir und der Kundschaft. Dann kommen Sofas und Sessel rein, die findest du für wenig Geld in jedem Trödelladen. Teppiche, hübsche Lampen, Bilder an die Wände. Es soll gemütlich sein, der Kunde soll sich sofort wohlfühlen und gleichzeitig merken, dass er nicht an einem gewöhnlichen Ort ist.«

»Wohin kommt der Computer?«

»Du verkaufst ihn.«

»Aber …«

»Stattdessen schaffst du dir ein Tablet an. Das reicht völlig und sieht viel eleganter aus.«

»Und was biete ich an?«

Marisa bleibt stehen und legt den Kopf in den Nacken. »Du bietest Leistungen an, die man sonst nirgendwo bekommt.«

»Zum Beispiel?«

»Du erledigst Dinge, die niemand gern macht.«

»So etwas nennt man Putzinstitut.«

Marisa wirft Bashir einen strafenden Blick zu. »Jetzt bloß nicht frech werden!«

Sie tritt ans Fenster und knetet mit Daumen und Zeigefinger ihre Unterlippe. Draußen donnert ein ICE vorbei und bringt den Boden unter ihren Füßen zum Vibrieren, die Scheiben zittern.

»Unangenehme Dinge. Zeitraubende Dinge. Um die machen wir doch alle am liebsten einen Riesenbogen. Wir leben in einer Welt der Unverbindlichkeiten und des chronischen Zeitmangels. Willkür herrscht, alles ist flüchtig und kann sich jeden Moment ändern, jeder hetzt dem Geld oder seinen Träumen hinterher, Kommunikation findet größtenteils nur noch auf virtuellem Weg statt. Was gestern zählte, ist heute überholt.« Marisa deutet auf Bashir. »Und da kommst du ins Spiel. Du bringst altmodische Werte zurück, du nimmst dir Zeit, du redest mit den Menschen. Du entschuldigst dich im Namen deiner Auftraggeber, machst Schluss mit Geliebten, gehst für sie aufs Amt, was weiß ich?«

»Darf man das überhaupt? Für jemand anders aufs Amt?«

»Das war nur ein Beispiel!« Marisa rollt die Augen. »Was mir vorschwebt, ist eine Agentur, die sich um alles Unangenehme kümmert.«

Bashir wirkt wenig überzeugt.

»Eine Agentur …« Marisa dehnt die Wörter und wendet sich mit einem Strahlen Bashir zu. »Eine Agentur für unliebsame Angelegenheiten!«

»Unliebsam? Das klingt veraltet. Wieso nicht lästig oder ärgerlich?«

»Unliebsam klingt weniger negativ, außerdem kommt das Wort ›lieb‹ darin vor, das spricht die Leute an.«

»Ich wäre trotzdem für lästig.«

Marisa kräuselt die Lippen. »Okay, okay, dann halt lästig.«

»Und das soll funktionieren?«

»Immer noch besser als eine hundsgewöhnliche Detektei, nicht?«

»Na ja …«

»Die Bezeichnung sagt etwas aus, aber nicht zu viel. So lassen wir offen, was unsere Dienstleistungen alles beinhalten, und können notfalls weiterhin Ermittlungen und Überwachungen übernehmen.«

»Wir?«, wirft Bashir ein, Marisa hört jedoch nicht hin.

»Ich sehe schon das Schild an der Tür vor mir.« Enthusiastisch umreißt sie die imaginäre Beschriftung vor einem der Fenster. »Agentur für lästige Angelegenheiten!«

6