Cover

H. Dieter Neumann

FEUER IN DEN DÜNEN

Kriminalroman

image

Bisher in dieser Reihe erschienen:

Die Tote von Kalkgrund. ISBN 978-3-89425-454-4

Mord an der Förde. ISBN 978-3-89425-462-9

Tod auf der Rumregatta. ISBN 978-3-89425-471-1

Nebel über der Küste. ISBN 978-3-89425-484-1

Blutmöwen. ISBN 978-3-89425-577-0

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2019 by GRAFIT in der Emons Verlag GmbH

Cäcilienstraße 48, 50667 Köln

Internet: http://www.grafit.de

E-Mail: info@grafit.de

Alle Rechte vorbehalten.

Dieses Werk wurde vermittelt durch

die Medien- und Literaturagentur Drews, Augsburg

Umschlaggestaltung: Franziska Emons-Hausen unter Verwendung von photocase.de/Vividrange

Gestaltung Innenteil: César Satz & Grafik GmbH, Köln

Lektorat: Christiane Geldmacher

E-Book-Produktion: CPI – Clausen & Bosse, Leck

eISBN 978-3-89425-631-9

1. Auflage 2019

Der Autor

H. Dieter Neumann, Jahrgang 1949, war Offizier in der Luftwaffe der Bundeswehr und in verschiedenen internationalen Dienststellen der NATO. Anschließend arbeitete der diplomierte Finanzökonom als Vertriebsleiter und Geschäftsführer in der Versicherungswirtschaft, bevor er sich ganz aufs Schreiben verlegte. Der passionierte Segler ist verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und lebt vor den Toren Flensburgs auf dem Land.

www.hdieterneumann.de

 

Für Pia und Max

Prolog

Es fühlt sich an, als wäre die Matratze mit Schleifpapier bezogen. Die blöden Körner kratzen an ihren Beinen. Beim Zubettgehen hat sie sich nicht um den Sand zwischen ihren Zehen geschert, aber mittlerweile ist er getrocknet und auf das Laken herabgerieselt.

Ist sie davon aufgewacht? Oder war da nicht gerade ein Geräusch draußen gewesen, ein kurzes, helles Klirren?

Ganz ruhig liegt Celina, starrt durch die Dunkelheit dorthin, wo sich das Fenster schwach als Quadrat hinter den Vorhängen abzeichnet, lauscht minutenlang, bis es in ihren Ohren rauscht.

Nichts. Nur die regelmäßigen Atemzüge ihres Bruders, der unter ihr in dem Doppelstockbett schläft. Sonst absolute Stille.

Also doch nur der dumme Sand im Bett. Das Piken der winzigen Steinchen hat sie wohl aus dem Schlaf geholt. Bestimmt nur Einbildung, dieses Klirren vor dem Haus. Hat sie das vielleicht sogar nur geträumt?

Langsam atmet Celina aus, ihr Herzschlag beruhigt sich. Trotzdem: Lust, jetzt das warme Bett zu verlassen, um den Sand loszuwerden, verspürt sie überhaupt nicht. Natürlich sollen sie sich immer die Füße waschen, bevor sie ins Bett gehen, klar. In den Ferien sind Mama und Papa aber nicht so pingelig. Katzenwäsche darf auch mal sein.

Mist, das Zeug schabt wirklich aufdringlich auf der Haut. So wird sie bestimmt keinen Schlaf mehr finden. Noch aber kann sie sich nicht überwinden, die warme Decke zurückzuschlagen, aus dem gemütlichen Bett zu steigen, die Holzleiter hinabzuklettern und dann auch noch mühsam das Laken abzuziehen und auszuschütteln.

Einfach die Beine nicht bewegen, Augen wieder zu und weiterschlafen. Doch selbst wenn sie sich überhaupt nicht rührt, spürt sie die spitzen Körnchen wie Stiche an ihren Waden. Verdammt, es muss wohl sein. Von allein wird der Sand nicht verschwinden.

Ein tiefer Seufzer, dann setzt sie sich auf und greift entschlossen nach dem Kabel an der Wand über ihrem Kopfkissen, um die Lampe anzuknipsen. Doch bevor sie den Schalter ertasten kann, klirrt es draußen erneut, viel lauter diesmal. Als würde eine Flasche gegen die Wand geworfen und in tausend Splitter zerbersten. Plötzlich ist da auch Lärm vor dem Fenster, gepresste, dunkle Stimmen, kurze, scharfe Rufe. Jäh fährt Celina eiskalte Furcht in die Brust.

Unter ihr meldet sich Svens quengelige Stimme, verschlafen, desorientiert: »Was war das? Da ist doch was … Celina, bist du wach?«

Doch die ältere Schwester gibt keine Antwort, auch nicht, als er angstvoll aufschreit. Wie gelähmt sitzt sie in ihrem Bett und starrt mit weit aufgerissenen Augen auf den flackernden Feuerschein hinter den Vorhängen, der sich von außen dem Fenster nähert.

Ein dumpfer Schlag, berstendes Glas, eine flammende Fackel fliegt in den Raum, taucht ihn in gelbrotes Licht. Qualm, der nach Benzin stinkt, füllt augenblicklich die Luft.

»Mama!« Der Schrei des kleinen Jungen ist lang gezogen, markerschütternd.

Da erwacht das Mädchen aus seiner Starre, springt mit einem Satz von ihrem Bett auf den Boden. Sie achtet nicht auf den stechenden Schmerz, der ihr durch den linken Knöchel fährt, als sie vor ihrem Bruder landet. Durch die Rauchschwaden erkennt sie sein bleiches, entsetztes Gesicht, vom Feuerschein beleuchtet, packt seinen Arm, reißt ihn hoch. »Sven, wir müssen hier raus, los, komm! Schnell, schnell!«

»Es brennt, Jürgen, das Haus brennt!« Die schrille Stimme der Mutter aus dem Schlafzimmer nebenan. Dann ein wilder Schrei, angstvoll: »Die Kinder!«

Schon ist Celina an der Zimmertür, ihr weinender Bruder klammert sich an ihr fest. Als sie an die Klinke fassen will, fliegt die Tür auf und heißer Brandgestank quillt ins Zimmer, einer Walze gleich, die den Kindern den Atem raubt. Aus dem Qualm heraus schreit ihr Vater: »Gott sei Dank, dass ihr …«

Die Mutter stürzt herbei, beugt sich über sie, zieht sie an sich, schluchzt: »Gott sei Dank, ihr lebt. Seid ihr verletzt? Geht es euch …«

Keuchend bricht sie ab, als im Flur knallend eine Tür auffliegt und plötzlich noch mehr Rauch die kleine Gruppe einhüllt.

»Los, schnell, wir müssen hier raus!«, schreit der Vater. »Ins Wohnzimmer – und dann auf die Terrasse!«

Sie rennen los. Der Vater stößt die Wohnzimmertür auf, springt mit einem Schrei zurück, stürzt zu Boden. Beißender Rauch, prasselndes Feuer. Erbarmungslose Hitze plötzlich. Schmerzhaft legt sie sich auf die Haut, versengt die Nasenschleimhäute. In Todesangst reißen die Kinder ihre Münder auf, wollen schreien, doch ihr schwaches Krächzen wird von dem prasselnden Inferno um sie herum verschluckt. Immer heller wird es, gelb und rot flackerndes Feuer überall.

»Nach vorn«, keucht die Mutter, »zur Haustür!« Sie reißt ihre wimmernden Kinder an sich und rennt den schmalen Flur hinunter.

Der Vater steht schwankend auf, benommen vom giftigen Qualm, der ihm die Lunge verätzt und die Sinne vernebelt. Er will hinter seiner Familie herrennen, wirft einen Blick zum Ende des Flurs: Die Holzbohlen der massiven Haustür brennen lichterloh, die Wände des engen Ganges stehen in Flammen, die Decke aus Kiefernholz hat ebenfalls Feuer gefangen. Knisternd springen kleine bläuliche Flammen von Brett zu Brett. Krachend und in einen Funkenregen gehüllt, stürzt eine Platte von der Decke und fällt auf die Kinder und ihre Mutter.

Kurz sieht der Mann ein Bild: heute Nachmittag. Seine Frau steigt aus dem Meer, ihre Haare flattern im warmen Sommerwind. Ausgelassen springt sie durch die Wellen, die sich am weißen Strand brechen, lachend, die Haut voller glitzernder Wassertropfen. Die Kinder laufen ihr entgegen, kleine bunte Sonnenhüte auf den Köpfen, kreischend vor Vergnügen. Ihre nackten Füße lassen das Wasser hochspritzen, dass es in der Sonne funkelt wie flüssiges Kristall.

Das Bild verschwindet. Seine Knie knicken ein und er fällt zu Boden. Mit schwindender Kraft versucht er, Luft zu bekommen, spürt, wie sich seine Kehle zusammenzieht, blickt starr vor Entsetzen auf seine Familie, hört ihre Schmerzensschreie, weiß, dass sie es nicht mehr schaffen werden. Sein Gesichtsfeld verengt sich immer weiter, die Augen schwimmen in Tränen, kaum noch kann er die Menschen da vorn erkennen. Mit letzter Kraft bäumt er sich noch einmal auf, versucht, seinen Körper ein Stück vorwärtszuschieben, doch seine Arme wollen ihn nicht mehr tragen. Ein glühender Schwall fährt in seine Lunge, ihm wird schwarz vor Augen, sein Kopf schlägt mit dem Gesicht auf die Dielen. Wie blind hört er Wände und Decke bersten. Ein brennendes Holzpaneel löst sich mit lautem Knall von der Wand, stürzt sich wie ein flammenumkränzter Todesengel auf ihn und versengt ihm den Rücken mit höllischer Hitze. Der Schmerz ist unerträglich.

Kein Schrei kommt mehr aus seinem Mund.

Das Bild huscht noch einmal vorbei, ganz kurz nur, ein Blitz, strahlend klar.

Wunderschön.

1

Schon seit dem frühen Morgen lag klebrig warmer Dunst über dem Wasser wie ein feuchter Schleier. Kaum schaffte es die Spätsommersonne, die zähe Nässe zu durchdringen. Schwefliges Licht nur, ein fahlgelber Schimmer, verborgen hinter einem dichten Seidenvorhang.

Kein Wind. Nicht einmal ein laues Lüftchen über dem nordfriesischen Wattenmeer. Wie erstickt die Geräusche an Bord der kleinen Fähre Hilligenlei, das Brummen der beiden Diesel, das Rauschen des Wassers an der Bordwand, die Gespräche der Passagiere. Als hinge eine gigantische Käseglocke über dem Schiff.

Eben hatte es von der Hallig Hooge abgelegt, dem letzten Zwischenstopp auf der Fahrt von der Insel Amrum nach Schlüttsiel auf dem Festland. Am Anleger auf Hooge waren nur ein paar Tagesurlauber an Bord gekommen, die meisten zu Fuß, denn auf der Hallig gab es kaum Autoverkehr. Die Insassen der Kraftfahrzeuge, die an der Rampe von Wittdün auf Amrum auf die Fähre gerollt waren, hatten ihr Auto längst verlassen, um frische Luft zu schnappen. Wer nicht unten im Bordrestaurant bei Kaffee und Kuchen saß, hielt sich an Deck auf und genoss den leichten Fahrtwind auf der Haut, der die drückende Schwüle etwas linderte.

»Hab ich noch nie erlebt, dass hier auf der Nordsee überhaupt kein Wind weht.« Unwirsch wischte sich ein wohlgenährter Passagier mit dem Taschentuch die Stirn und lehnte sich noch ein Stück weiter über die Reling auf dem Oberdeck, um mehr vom kühlenden Fahrtwind einzufangen.

»Pass bloß auf, dass du nicht ins Wasser fällst«, warnte ihn seine Frau und fächerte sich hektisch mit einem bunten Prospekt der Wyker Dampfschiffs-Reederei Luft ins Gesicht, auf dem der Schweiß Furchen in die Schminke gezogen hatte. »Widerliches Wetter. Mannomann, wenn ich da an den Sturm denke, den wir schon hier erlebt haben … Diese Schwüle ist ja nicht auszuhalten!«

»Genau wie im Sommer bei uns in Stuttgart«, sagte der Mann vorwurfsvoll. »Ekelhaft drückend. Dafür fährt man ja nun wirklich nicht an die Nordsee.«

»Nun schimpf mal nicht, Hasi. Bisher hatten wir auf Amrum fast immer schönes Wetter.«

»Ha! Zum Beispiel vorletztes Jahr, als der Sturm unseren Strandkorb ins Meer geblasen hat«, knurrte der Mann und klatschte mit der flachen Hand eine Mücke tot, die sich auf seinem fleischigen Hals niedergelassen hatte. »Scheißviecher! Werden immer mehr, je näher wir der Küste kommen.«

»Aber die vierzehn Tage auf Amrum waren doch herrlich«, gab die Frau zurück. »Schön warm und immer ein frischer Seewind, das musst du zugeben.«

Doch Hasi gab nichts zu. Damit hatte er es eh nicht so.

Stattdessen musterte er noch einmal den sonderbaren Typen, den er seit einigen Minuten verstohlen beobachtete. Schon am Anleger in Wittdün war ihm der rothaarige Mann unangenehm aufgefallen. Plötzlich war der Kerl nämlich, eine große Tasche in der Hand, direkt vor dem Kühler seines Mercedes aufgetaucht – und das gerade in dem Moment, als er den Wagen, kühn Gas gebend, die Rampe hoch aufs Autodeck lenkte. Nur mit einer Vollbremsung hatte er verhindern können, dass der blasse Mann unter die Räder geriet. Doch als er die Scheibe heruntergelassen und den Rothaarigen mit wilden Flüchen überschüttet hatte, war dieser nur achselzuckend zum Niedergang geschlendert und unter Deck verschwunden.

Nun saß der Typ seit geraumer Zeit auf einer Bank vor dem Backbordschornstein der Fähre, seine prall gefüllte Reisetasche mit lauter albernen bunten Aufnähern neben sich, und starrte gedankenverloren auf seine Schuhe, völlig bewegungslos.

»Schau mal, da ist der komische Kerl, der mir vorhin vors Auto gehüpft ist«, sagte Hasi und straffte sich.

»Lass ihn doch. Das ist doch jetzt schon über zwei Stunden her. Mach bitte keinen Stress.« Die Stuttgarterin kniff die Augen zusammen und musterte den mittelgroßen Mann mit der auffälligen Haarfarbe genauer. »Was ist denn mit dem?«, flüsterte sie. »Sieh mal genau hin. Schläft der?«

»Mir doch wurscht. Dann werde ich ihn eben wecken und ihm klarmachen, wie man sich auf einem Fahrzeugdeck zu verhalten hat«, gab Hasi heftig zurück. »Da hätte schließlich weiß Gott was passieren können!« Als Leitender Beamter des städtischen Ordnungsamtes hatte er klare Vorstellungen davon, wie das menschliche Zusammenleben gesittet abzulaufen hatte. Und selbst nach über dreißig Dienstjahren war sein missionarischer Eifer nicht erloschen. Wo immer sich die Gelegenheit bot, führte er seinen allzu unbekümmerten Mitbürgern die fatalen Folgen ihres Fehlverhaltens vor Augen.

Gerade wollte er sich also in Bewegung setzen, da sah er, dass sich der Oberkörper des Rothaarigen wie in Zeitlupe zur Seite neigte. Kurz darauf fiel der Mann ohne jeden Versuch, seinen Sturz abzufangen, von der Bank und blieb regungslos auf dem Deck liegen.

»Der ist ja besoffen«, entrüstete sich Hasi. »Das war er bestimmt schon, als er mir vors Auto gelaufen ist.«

»Kann sein, aber nun lass doch. Das geht uns nichts an. Außerdem können wir schon mal zum Wagen gehen.« Die Frau blickte auf ihre Armbanduhr. »In fünfzehn Minuten legen wir in Schlüttsiel an.«

Doch Hasi starrte fasziniert auf den Rothaarigen, der da zehn Meter entfernt auf dem Boden lag. Ein krampfartiges Zucken hatte nämlich auf einmal den schmächtigen Körper ergriffen. Füße und Hände des Mannes waren in ständiger Bewegung, der ganze Kerl wand sich lautlos auf dem Boden, schüttelte wild mit dem Kopf, das Gesicht zu einer grässlichen Grimasse verzerrt, die Zähne gebleckt. Speichel floss aus seinem Mund auf die grün bemalten Decksplatten.

»Sieh dir das an!«, rief der Stuttgarter. »Der hat doch was!«

»Ein Anfall! Ganz klar, der hat einen Anfall, Epilepsie oder so was«, rief seine Frau erschrocken. »Der ist nicht betrunken, das ist was Schlimmeres!«

Inzwischen war der Vorfall auch von anderen Passagieren auf dem Oberdeck bemerkt worden. Einige hatten sich dem am Boden Liegenden genähert, dessen Bewegungen zusehends schwächer wurden, und redeten aufgeregt auf ihn ein. Eine Frau und zwei Männer knieten neben ihm, wagten aber offenbar nicht, ihn zu berühren.

»Ist ein Arzt an Bord?«, rief jemand laut, und Hasi fuhr zusammen, als seine Ehefrau neben ihm theatralisch die Hände in die Höhe riss und den Ruf laut kreischend wiederholte: »O mein Gott! Ein Arzt, schnell, wir brauchen einen Arzt!«

Hasi knurrte unwillig. Hysterie verachtete er zutiefst. Weibliche zumal.

Einer der Passagiere, die neben dem mittlerweile kaum noch zuckenden Rothaarigen knieten, schrie: »Der stirbt, glaube ich. Verdammte Scheiße, was sollen wir bloß machen? Kann denn keiner helfen?«

»Man muss wohl dem Kapitän Bescheid geben«, erklärte Hasi, der nun ebenfalls herantrat, voll gewichtigem Ernst.

»Na, und warum sind Sie noch nicht längst selbst zur Brücke gelaufen?« Eine junge Frau, die mit ihrer wirren, zotteligen Mähne und einem weit wallenden, grellbunt gebatikten Kleid wie ein Hippie der siebziger Jahre aussah, blickte Hasi herausfordernd an.

Doch ehe der Stuttgarter sich eine empörte Antwort überlegt hatte, kam eine Stimme aus dem Lautsprecher: »Der Kapitän für die Fahrgäste auf dem Oberdeck: Ein Mannschaftsmitglied mit Sanitätsausbildung ist unterwegs und kümmert sich sofort um den … Zwischenfall.«

»Lassen Sie mich bitte durch«, rief da auch schon jemand laut von hinten und schob die Menge der Gaffer, die sich inzwischen um den an Deck liegenden Mann gebildet hatte, unsanft auseinander.

Hasi erkannte den jungen Decksmann, der die Autos bei der Verladung auf Amrum eingewiesen hatte. Der Seemann stellte einen Koffer, auf dem leuchtend das Rote Kreuz auf weißem Grund prangte, neben dem Rothaarigen ab und kniete sich hin. Mehr konnte der Stuttgarter Kommunalbeamte zu seinem Ärger aber nicht erkennen, denn die Mauer der Schaulustigen hatte sich vor ihm wieder dicht geschlossen. Wenig später schon stand der Helfer wieder auf, und man hörte ihn etwas in sein Funkgerät sprechen.

Hasi verstand nicht viel. Nur die Worte ›akut‹ und ›Notfall‹ bekam er mit.

Mit der Routine Tausender solcher Manöver fuhr der Kapitän die Fähre an den Anleger in Schlüttsiel, diesmal jedoch deutlich forscher als gewöhnlich. Schnell waren die Leinen fest. Die Rampe wurde gerade herabgelassen, als auch schon mit Blaulicht und Martinshorn der Notarztwagen über den Kai heranjagte.

Noch von See hatte die Schiffsführung den Notruf abgesetzt. Ein Passagier, der immerhin Tierarzt war, hatte die Vermutung des Hilfssanitäters bestätigt, der inzwischen besinnungslose Rothaarige habe wahrscheinlich einen epileptischen Anfall erlitten.

Der Rettungswagen bremste scharf und hielt direkt vor der heruntergelassenen Rampe. Notarzt und Sanitäter stürmten mit ihren Taschen an Bord, wo sie vom Kapitän in Empfang genommen wurden. Gemeinsam rannten sie die Treppe zum Oberdeck hinauf und knieten sich neben den Patienten, der immer noch scheinbar leblos auf dem Deck lag. Nach ein paar Minuten wurde eine Trage geholt, der Mann, dem man inzwischen eine Infusion gelegt hatte, darauf festgeschnallt und zum Fahrzeug getragen.

Unter dem gellenden Heulen seines Martinshorns fuhr der Krankenwagen kurz darauf los. Nach und nach verklang der Lärm der Sirene, als das Fahrzeug auf der schmalen Straße hinter dem Außendeich in Richtung der nahe gelegenen Kleinstadt Niebüll davonraste. In weniger als einer Viertelstunde würde man sich im dortigen Klinikum, das über moderne Notfalleinrichtungen verfügte, um den Patienten kümmern.

Was in diesem Fall allerdings nicht mehr nötig war. Der Mann war bereits tot, als der Wagen vor der Notaufnahme anhielt.

2

»Moin, Frau Christ! Gut, dass Sie kommen«, sagte Kommissar Nuri Önal, sah kurz auf seine Armbanduhr und griff nach einem Notizzettel auf seinem Schreibtisch. »Ich habe in einer Stunde einen Termin in Niebüll.«

»Was wollen Sie denn da?«

»Sonderbare Sache. Erzähle ich Ihnen gleich, aber erst einmal bin ich neugierig. Was hat die Sitzung ergeben? Es ging doch um die zusätzlichen Dienstposten, die wir bekommen sollen, nicht wahr?«

Oberkommissarin Helene Christ stieß einen Seufzer aus. »In der Tat.«

Sie ging zu dem kleinen Kühlschrank in der Ecke des geräumigen Büros, das sie sich mit ihrem Kollegen teilte, holte eine Flasche Mineralwasser heraus und trat vor eines der offenen Fenster. Während sie ihren Blick gedankenverloren von dem regen Betrieb auf dem Busbahnhof hinüber zu den Schiffen wandern ließ, die bei vollständiger Windstille an der Hafenspitze im Fördewasser dümpelten, setzte sie die kühle Flasche an den Mund, nahm ein paar lange Züge und beobachtete ein Segelboot, das wegen der Flaute unter Motor in den Hafen hereinkam.

Sofort gingen ihre Gedanken zu Simon und der Seeschwalbe. In dieser Saison hatten sie nur an den Wochenenden ein paar kurze Fahrten mit dem Boot gemacht. Und nun würde wohl sogar ihr Urlaubstörn nach Schweden platzen, den sie voller Vorfreude an den langen dunklen Winterabenden geplant hatten und der in einer Woche beginnen sollte.

Die Seeschwalbe stand nämlich seit gestern hoch und trocken in der Werft. Die passenden Ersatzteile waren für ein so altes Schiff nur schwer zu bekommen, vielleicht musste das eine oder andere sogar erst neu angefertigt werden. Und auch die aufwendigen Reparaturarbeiten würden einige Zeit dauern, ganz zu schweigen von der Beseitigung des Wasserschadens innen. Trotz Eigenleistung würde all das auch noch viel Geld kosten, Geld, das sie eigentlich für den gemeinsamen Urlaub zurückgelegt hatten.

Tschüss, Schweden, dachte Helene traurig und versuchte, das verlockende Panorama des sonnenüberfluteten Schärengartens und von roten Holzhäuschen mit weißen Fensterläden auf unzähligen Felseninselchen in glasklarem Wasser aus dem Kopf zu kriegen.

Sie sah nach oben. Immer noch schien die Sonne nur schwach durch den feuchten Dunst, der seit heute Morgen über der Stadt lag. Ein Vorbote des Herbstes, diese diesigen, tief hängenden Schwaden. Hoffentlich dauerte es nicht mehr allzu lang, bis wieder Wind aufkam und den nebligen Spuk davon blies, damit die Augustsonne noch ein paar Tage lang ihre Kraft entfalten konnte.

»Kriegen wir denn nun die zusätzlichen Stellen, von denen überall die Rede ist?«, holte Nuri Önal sie aus ihren Gedanken. »In der Zeitung steht, nun käme endlich die Personalaufstockung, die unsere Landesregierung angekündigt hat.«

»Ja, das steht fest. Aber jetzt geht der Streit erst richtig los.«

»Versteh ich nicht.«

»Wir können uns freuen, dass es in der Polizeidirektion Flensburg bald einen Kriminaldauerdienst geben wird. Tolle Sache, alle Kommissariate werden entlastet, wenn die Kripo endlich rund um die Uhr kompetente Leute im Dienst hat.«

»Das ist doch super!«

»Ist es, aber wir müssen unsere gesamte Organisation neu denken. Betrifft die Mordkommission, aber auch alle anderen Abteilungen. Und jeder Kommissariatsleiter hat scheinbar unwiderlegbare Argumente, warum gerade seine Abteilung zusätzliche Stellen benötigt. Das Hauen und Stechen geht gerade erst los!«

»Kann ich mir denken«, kommentierte Önal grinsend. »Ist immer so, wenn’s was zu verteilen gibt.«

Die Oberkommissarin nickte. »Das eben war der erste Vorgeschmack. Ein recht munteres Rededuell. Ich könnte mir vorstellen, dass sich meine Beliebtheit bei gewissen Kollegen deutlich abgekühlt hat.« Sie nahm noch einen Schluck aus der Flasche. »Wie auch immer, unsere Personallage wird sich auf jeden Fall verbessern.«

Sie fuhr sich mit der Hand durch ihre dichte weißblonde Mähne, schlenderte zum Schreibtisch, ließ sich in den Sessel fallen und streckte ihre langen Beine aus. Sofort fielen ihr am rechten Oberschenkel ein paar braune Spritzer ins Auge, die ihre hellen Jeans zierten – eindeutig Kaffeeflecken. Ärgerlich griff sie in ihre Tasche und zog eine Packung Taschentücher hervor.

»Würd ich nicht machen, Frau Christ.« Önal hatte die Flecken offenbar auch gesehen. »Wird nur schlimmer, wenn man drauf herumreibt. Sie könnten die Stelle ja rausschneiden, Jeans mit Löchern sind modern.«

»Haha. Sehr witzig, Herr Kommissar«, erwiderte Helene lachend. »Na gut, dann lass ich’s eben.«

Der junge Mann heftete die schwarzbraunen Augen aufmerksam auf seine Vorgesetzte. »Ach, wurde eigentlich in der Konferenz auch über das Thema ›Leitung der Mordkommission‹ gesprochen? Ich meine, sollen Sie die weiterhin innehaben, oder wird man Ihnen jemanden vor die Nase setzen?«

Heikles Thema, dachte Helene. Nach wie vor war die Leitungsstelle von einer Kollegin besetzt, die an das LKA in Kiel ausgeliehen worden war, nachdem sie hier in der Bezirksdirektion Flensburg ein ungewöhnlich kurzes, aber allen Beteiligten unvergessliches Gastspiel gegeben hatte. Seither führte Oberkommissarin Christ die Mordkommission kommissarisch – eine Chance, die sie gern ergriffen hatte. Aber sie wusste natürlich, dass sie noch nicht genügend Dienstjahre hinter sich hatte, um zur Hauptkommissarin befördert zu werden. Wohl oder übel musste sie daher mit der Ungewissheit leben, ob die ungeliebte Kollegin wieder zurückkehren oder man ihr jemand Neues vor die Nase setzen würde.

Unwirsch schüttelte sie den Kopf und wechselte abrupt das Thema. »Was ist das für ein Termin in Niebüll, Nuri?«

Wenn es ihn störte, auf seine Frage keine Antwort erhalten zu haben, so ließ sich der junge Mann das jedenfalls nicht anmerken. Er warf einen Blick auf die Notiz und sagte in sachlichem Ton: »Die Kollegen von der dortigen Kriminalpolizeistelle haben vorhin angerufen. Ein Passagier ist auf der Fähre nach Schlüttsiel mit schweren Krampfanfällen zusammengebrochen. Verdacht auf einen epileptischen Anfall. Offenbar hat der einen Herzinfarkt ausgelöst. Der Mann ist auf der Fahrt ins Krankenhaus verstorben.«

»Das ist schlimm, aber was haben wir damit zu tun?«

»Der Arzt in der Notaufnahme hat die örtlichen Kollegen alarmiert. Er glaubt, dass der Krampfanfall von einer Vergiftung verursacht wurde, die auch zum Tod geführt hat.«

»Aha«, erwiderte Helene und runzelte die Stirn. »Ich verstehe aber immer noch nicht, warum sich die Kripo dafür interessieren sollte.«

»Das war mir erst auch nicht klar, aber die Klinik hatte um Rückruf gebeten und ich habe vorhin mit dem Notarzt gesprochen.« Önal warf einen Blick auf seine Notiz. »Ein Doktor Chamkanni, wenn ich es richtig verstanden habe. Der wollte mir am Telefon nichts Genaues sagen …«

»… womit er absolut recht hatte.«

»Sicher. Nur so viel ist bisher klar: Er hat an der Leiche einen verdächtigen Einstich gefunden …«

»… und meint, dass Fremdeinwirkung vorliegen könnte?«

»Scheint so, sagt er. Warten wir einfach die Obduktion ab.«

»Weiß man denn schon, wer der Tote ist?«

»Nein, der Mann war wohl allein auf der Fähre, also ohne eine Begleitung. Jedenfalls hatte sich bis zu seinem Abtransport im Notarztwagen niemand gemeldet, der ihn kannte.«

Helene wiegte ihren Kopf hin und her. »Merkwürdige Geschichte.« Sie richtete sich auf und sah ihren Kollegen mit blitzenden Augen an. »Wissen Sie was, Nuri? Ein bisschen frische Nordseeluft wird mir guttun nach diesem Bürokratengemetzel eben«, sagte sie. »Ich werde Sie begleiten, wenn Sie nichts dagegen haben. In Niebüll gibt’s bestimmt auch einen anständigen Jeansladen. Da halten wir kurz an. Ich will nicht den ganzen Tag mit diesen Flecken auf der Hose herumlaufen.«

»Unbedingt! Die Leute könnten ja sonst was über die Flensburger Mordkommission denken …« Önal sprang grinsend auf, machte eine übertriebene Verbeugung und erklärte dröhnend: »Ist mir eine Ehre, Frau Oberkommissarin!«

»Schleimer.« Helene griff nach ihrer Umhängetasche. »Dann mal los!«

»Wie heißt der Arzt noch mal?«, fragte Helene Christ, als sie mit ihrem Kollegen über den Parkplatz zum Eingang der Klinik ging.

»Chamkanni, wenn ich es richtig aufgeschrieben habe.«

»Uralter nordfriesischer Name.«

»Ja, ähnlich typisch wie Önal«, gab der junge Mann scheinbar todernst zurück und fuhr fort: »De dare Dokter schnackt ’n beten as ’n Butenlanner.«

Helene lachte glucksend. Außer Nuri Önal, der in Husum geboren war, gab es vermutlich keinen Menschen mit türkischen Wurzeln, dem Plattdeutsch so selbstverständlich über die Lippen ging. Kein Wunder eigentlich, schließlich war er in der ›grauen Stadt am Meer‹ aufgewachsen, wo es seine Eltern, fern ihrer anatolischen Heimat, mit einer Wäscherei zu bescheidenem Wohlstand gebracht hatten. Bis zum Abitur war Nuri dort zur Schule gegangen und hatte sich anschließend für eine Laufbahn bei der Kriminalpolizei entschieden. Es war für Helene jedes Mal ein Erlebnis, die verblüfften Gesichter mancher Küstenbewohner zu sehen, wenn der dunkle, schwarzhaarige Kriminalbeamte sie auf Platt ansprach.

Wie stolz seine Eltern auf ihren Sohn waren, hatte Helene gemerkt, als sie mit Nuri vor ein paar Wochen nach einem Termin auf der Kriminalpolizeistelle Husum noch kurz in der Wäscherei vorbeigeschaut hatte. Auch die Großmutter, so hatte Nuri seiner Chefin später erzählt, sei vor Stolz fast geplatzt, als er im letzten Jahr zum Kommissar befördert worden war. Allerdings habe die alte Frau sich bitter beklagt, dass ihr Enkel als ›Polizeioffizier‹ im Dienst keine schneidige Uniform trug, wie sie das aus ihrer türkischen Heimat gewohnt sei.

Wenige Minuten nachdem die Angestellte am Empfang in der Eingangshalle der Klinik sie telefonisch angemeldet hatte, ging eine Fahrstuhltür auf, und ein großer schlanker Mann in weißem Kittel und mit Gesichtszügen, die Helene für indisch hielt, eilte auf die beiden Kriminalbeamten zu.

»Ich bin Dr. Chamkanni«, sagte er, nachdem die Oberkommissarin sich und ihren Kollegen vorgestellt hatte. »Gut, dass Sie gekommen sind. Wir müssen noch ein paar Vorsichtsmaßnahmen treffen, bevor Sie sich das ansehen können, was ich Ihnen zeigen will.«

Nuri hatte recht, fiel Helene auf. Chamkanni sprach zwar fehlerfreies Deutsch, aber mit einem recht starken Akzent.

»Was heißt das: Vorsichtsmaßnahmen?« Kommissar Önal war offenbar misstrauisch geworden.

»Schutzkleidung«, war die lapidare Antwort des Arztes.

»Besteht Ansteckungsgefahr?«, fragte Helene und kniff die Augen zusammen.

»Wahrscheinlich nicht, aber sicher ist sicher. Bei Gift weiß man nie. Außerdem ist es Vorschrift in solchen Fällen, auch wenn der Patient bereits verstorben ist. Bitte folgen Sie mir.«

Damit wandte Chamkanni sich um und eilte wieder zurück zum Fahrstuhl. Gemeinsam fuhren sie ins Untergeschoss, wo der Arzt und die beiden Kriminalbeamten in einem Vorraum in lindgrüne Schutzanzüge mit anhängenden Füßlingen schlüpften und sich dünne Plastikhandschuhe anzogen. Erst als sie auch ihren Mundschutz angelegt hatten, betraten sie einen bis an die Decke gefliesten Raum, in dem die Leiche – mit einem weißen Laken bedeckt und von mehreren Deckenstrahlern grell beleuchtet – bäuchlings auf einem breiten Metalltisch lag. Nur die bloßen Füße ragten mit den Fersen nach oben aus dem Tuch hervor. In der Luft hing ein ekelerregender Geruch nach Körperausscheidungen.

»Sehen Sie bitte.« Chamkanni trat an den Tisch, schob das Laken ein Stück zur Seite und zeigte auf eine gerötete Stelle hinten am Oberarm. »Hier, der Einstich. An dieser Stelle wird er sich meiner Meinung nach kaum selbst gestochen haben, dazu hätte er sich ziemlich verrenken müssen. Irgendetwas wurde ihm da also injiziert. Der schwere Krampfanfall, den er erlitten hat, ist somit wahrscheinlich die Folge einer Vergiftung gewesen. Letztlich ist er dann an Herzversagen gestorben.«

»Ich zweifle keine Sekunde an Ihrer medizinischen Kompetenz, Herr Doktor«, sagte Helene vorsichtig. »Aber was Sie da sagen, hieße ja, dass jemand auf der Fähre eine Giftspritze bei sich gehabt und diese einem Passagier in den Arm gestoßen hätte.«

»So sieht es aus«, erwiderte Chamkanni. »Hört sich tatsächlich abenteuerlich an, aber …«

»Das muss doch wehgetan haben!«, rief Nuri Önal dazwischen. »Ich meine, wenn man plötzlich einen solchen Stich bekommt, das spürt man doch, da muss er aufgeschrien haben, oder?«

»Bestimmt hat er das gemerkt«, sagte der Arzt. »Allerdings wohl nur als kurzen Schmerz. Wie vom Stich einer Wespe vielleicht.« Er hob die Hände. »Aber wie soll ich wissen, was sich da abgespielt hat?«

»Können Sie natürlich nicht«, beschwichtigte Helene. »Das werden wir alles erst herausfinden müssen. Ist unser Job, Herr Doktor. Sagen Sie bitte: Wie lange mag es gedauert haben, bis das Opfer erste Anzeichen der Vergiftung gezeigt hat, also wie viel Zeit lag wohl zwischen Injektion und den Krampfanfällen, von denen uns berichtet wurde?«

»Auch das kann ich nicht sagen«, gab der Arzt etwas unwirsch zurück. »Solange wir nicht wissen, um was für ein Gift es sich handelt, ist das alles reine Spekulation.« Er sah sich noch einmal die Einstichstelle an und schnaufte kurz auf. »Aber wenn es, wie ich vermute, von biologischer Art ist, dann würde ich sagen, dass es bereits nach wenigen Minuten, maximal nach einer halben Stunde seine Wirkung entfaltet hat.«

Er deckte den Arm wieder zu, stellte sich an das Kopfende und zog das Laken ein Stück herunter, bis das Gesicht des Toten freilag.

Nuri Önal schluckte kurz, räusperte sich und sagte: »Sieht so aus, als hätte er große Schmerzen gehabt.«

Helene starrte entsetzt auf die weit aufgerissenen Augen, den offen stehenden Mund, um den herum gelbgrünes Sekret eingetrocknet war, und die qualvoll verzerrten Gesichtszüge.

»Ja, er hat einen sehr schmerzhaften Todeskampf gehabt. Nicht selten bei Gift. Und vergiftet wurde der arme Mann, da bin ich mir sicher.«

Plötzlich zuckte der junge Kommissar zusammen. »›Der arme Mann‹ – da sagen Sie was. Wissen Sie eigentlich, wer er ist?«

»Sorry, dafür habe ich mich bisher nicht interessiert«, räumte Chamkanni ein. »Aber ich glaube, man hat eine Brieftasche in seiner Jacke gefunden, als man ihn entkleidet hat. Sie liegt draußen.«

»Gut, wir kümmern uns gleich darum, wenn wir hier fertig sind«, sagte Helene und fasste den Arzt fest ins Auge. »Es ist mir klar, dass es für meine Frage wahrscheinlich noch zu früh ist, aber was hat man ihm gespritzt, Herr Doktor? Irgendeine Vermutung?«

»Kann ich wirklich nicht sagen.« Chamkanni zuckte die Achseln. »Kann alles Mögliche sein. Ich tippe auf ein Alkaloid.«

»Strychnin?«, hakte Önal nach, was ihm einen respektvollen Blick seiner Chefin eintrug.

»Hm, ich weiß es nicht … Aber eher nein. Strychninkristalle sind schwer löslich, soviel ich mich erinnere, also nicht gut für Injektionen geeignet.« Der Arzt hob beide Hände. »Aber was sollen wir hier mutmaßen? Das muss analysiert werden. Dafür gibt’s Fachleute.« Er deutete auf den Toten. »Sicherheitshalber habe ich bereits eine Blutprobe entnehmen lassen und einen Abstrich des Speichels gemacht. Alles schon unterwegs zum Labor. Bei Gift muss man schnell sein. Manche Substanzen sind nach kurzer Zeit schon nicht mehr nachweisbar.«

Helene war beeindruckt. »Klasse, Herr Doktor!«, sagte sie und nickte anerkennend.

Chamkanni lachte verhalten auf. »Na ja, in meiner pakistanischen Heimat haben wir so unsere Erfahrungen mit Vergiftungen.«

Pakistan also, dachte Helene.

»Giftschlangen, nehme ich an«, sagte der junge Kommissar.

»Ja, einige. Und auch ein paar gefährliche Spinnen.« Der Arzt lächelte. »Damit hat man hier hinterm Nordseedeich ja keine Probleme.« Er deutete auf den Leichnam. »Haben Sie noch Fragen? Ansonsten wartet nämlich eine Menge Arbeit auf mich.«

»Kann ich mir denken«, sagte Helene. »Dann wollen wir Sie auch nicht länger aufhalten. Der Leichnam ist polizeilich beschlagnahmt und wird in die Gerichtsmedizin nach Kiel überführt.«

»Okay. Falls sich später noch Fragen ergeben: Sie wissen, wo Sie mich erreichen.« Dr. Chamkanni warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Entschuldigen Sie, aber ich habe leider keine Zeit mehr. Kommen Sie bitte!« Er begleitete seine Besucher in den Vorraum, verabschiedete sich und verschwand.

Die beiden Kriminalbeamten schälten sich mühsam wieder aus ihren Schutzanzügen. Helene amüsierte sich still über die Verrenkungen, die Nuri Önal machte, um das enge Oberteil über seine Muskeln zu zerren. Der Einweg-Overall war für den stämmigen, durchtrainierten Körper des kaum mittelgroßen Sechsundzwanzigjährigen viel zu eng, allerdings auch deutlich zu lang. Dafür fehlten Helene, die ihren Kollegen um Haupteslänge überragte, bei ihrem Exemplar einige Zentimeter an Hosenbeinen und Ärmeln.

»Kümmern Sie sich bitte um die Überstellung des Toten in die Gerichtsmedizin, Nuri«, sagte sie, zog sich die Plastikhaube vom Kopf und lockerte mit der Hand ihre dichten hellen Haare. »Und dann kommt eine Menge guter alter Polizeiarbeit auf uns zu.«

»Ich weiß.« Önal nickte. »Beginnend mit den Personalien des Toten. Ich frage gleich mal nach den Sachen, die er bei sich hatte.«

»Hoffentlich gibt es einen Ausweis, damit wir wenigstens eine einwandfreie Identifizierung bekommen. Offenbar war er ja wohl ohne Begleitung auf der Fähre, wenn ich es richtig verstanden habe.« Helene schüttelte unwirsch den letzten Überschuh ab.

»Und wenn er doch Epileptiker war, hat er auch einen Epilepsie-Notfallausweis bei sich getragen. Wenn nicht, dann …«

»… erhärtet das den Verdacht des Arztes. Stimmt, Nuri. Sagen Sie, wie sieht es denn überhaupt mit Zeugen aus? Wer kümmert sich darum?«

Önal verzog das Gesicht zu einer säuerlichen Grimasse. »Zeugen? Ich fürchte, da gibt’s keinen, jedenfalls keinen der Passagiere.«

»Wieso das denn?«

»Zunächst hat ja niemand die Polizei verständigt. Wozu auch bei einem epileptischen Anfall? Das schien ein Fall für den Notarzt zu sein. Erst als der Doktor die Niebüller Kollegen wegen seines Verdachts auf eine Giftinjektion angerufen hat, haben die sich um die Sache gekümmert.«

Helene nickte resigniert. »Klar. Das heißt also, dass man nur noch die Crew der Fähre befragen kann, ob die etwas gesehen hat.«

»Genau. Das machen die Kollegen gerade. Mal sehen, ob dabei etwas herauskommt, was uns weiterbringt.«

»Na gut, dann sagen Sie denen, dass wir gleich dort hinkommen.« Helene kniff die Augen zusammen. »Aber der Mörder – wenn es tatsächlich einen gibt – muss unter den Passagieren gewesen sein, die in Schlüttsiel von Bord gegangen sind. Da können uns mit etwas Glück vielleicht die Überwachungskameras am Anleger bei der Identifizierung weiterhelfen.«

Önal verzog das Gesicht. »Das Glück haben wir auch nicht, leider.«

»Woher wollen Sie das jetzt schon wissen?«

»Die Idee mit den Kameras hatte ich bereits, als der Niebüller Kollege vorhin anrief.« Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Es gibt keine Überwachungskameras am Anleger Schlüttsiel, Frau Christ.«

3

»Keine Tasche, kein Koffer oder so was, sind Sie sicher?«, fragte Nuri Önal.

Der Pfleger schüttelte den Kopf und deutete auf die Kleidungsstücke, die auf dem Tisch im Vorraum lagen. »Nur das Zeug, das er am Leib hatte. Die Rettungssanitäter haben kein Gepäck mitgebracht, als sie den Mann eingeliefert haben.«

»Dann hat er entweder keins bei sich gehabt oder es befindet sich noch an Bord.«

Helene rümpfte die Nase. Scharf stieg ihr der Gestank des Erbrochenen und der Exkremente in die Nase, mit denen die Kleidung des Toten besudelt war.

»Sie brauchen sich das nicht anzutun«, sagte der Pfleger und reichte ihr mit spitzen Fingern, die in Gummihandschuhen steckten, eine abgegriffene schwarzlederne Brieftasche. »Die hab ich in der Innentasche seines Jacketts gefunden.«

Helene klappte die dünne Einsteckmappe auf. In einem Fach aus Klarsichtfolie steckte ein deutscher Personalausweis, und dahinter fand sich ein Führerschein, ausgestellt in Hamburg im Jahr 1995.

»Die Fotos passen. Ludger Möller heißt er, geboren 1976.« Sie klappte die Folientasche um. »Das ist interessant. Er ist deutscher Staatsbürger, seinen Wohnsitz hat er aber in Dänemark. Genauer gesagt in Tondern.«

»Die knuffige kleine Stadt direkt hinter der Grenze«, sagte Önal.

»Wo es das beste Pfeifen- und Tabakgeschäft gibt, das ich kenne«, sagte der Pfleger und grinste.

Kommissar Önal fragte: »Haben Sie noch mehr Taschen durchsucht – auch die in der Hose?«

»Hab ich, aber da war nur ein Ring mit drei Schlüsseln dran und ein Einwegfeuerzeug. Hab ich alles da auf den Tisch gelegt.«

»Schlüssel, aha«, sagte Önal und zog spöttisch die Mundwinkel hoch. »Das ist schon mal nicht schlecht. Dann brauchen wir ja nur noch die Schlösser zu finden, in die sie passen.« Er sah seine Chefin an. »Ich lasse seine Daten gleich mal überprüfen. Wer weiß, vielleicht findet sich ja irgendetwas über ihn.«

»Haben Sie auch ein Handy bei ihm gefunden?«, fragte Helene den Pfleger.

»Nee, da war keins.«

»Eigenartig. Fast jeder trägt doch heute ein Smartphone mit sich herum.« Helene trat näher an das Kleiderbündel heran. »Wir nehmen das Zeug für die Spurensicherung mit. Ich will jetzt so schnell wie möglich nach Schlüttsiel. Nuri, sorgen Sie bitte als Erstes dafür, dass die Fähre sich von dort nicht fortbewegt, bis die Kollegen sie nach zurückgelassenem Gepäck und sonstigen Spuren abgesucht haben.«

»Sonstigen Spuren?«

»Nun, wenn der Mann …«, sie schüttelte unwirsch den Kopf, blickte auf den Ausweis und setzte nochmals an, »… wenn jemand Ludger Möller Gift injiziert hat, liegt vielleicht irgendwo eine Spritze oder wenigstens die Hülle oder ein Verpackungsrest davon herum.«

Kommissar Önal fand direkt hinter dem Deich vor dem Fährhaus Schlüttsiel einen freien Parkplatz für den grauen Dienst-Passat und warf einen Blick auf das mehrstöckige Backsteingebäude, das hoch über die Deichkrone hinausragte. Dieser Ort war ein beliebtes Ziel der Familie Önal für ihre Sonntagsausflüge gewesen. Als Kind hatte er oft neben seinen Eltern auf einem Fensterplatz im verglasten Obergeschoss gesessen. Bei gutem Wetter hatte man einen weiten Blick über die nordfriesischen Inseln und Halligen, an dem sich vor allem seine Mutter, die im heißen, trockenen Hochland Anatoliens aufgewachsen war, nie hatte satt sehen können.

Auf der Fahrt vom Krankenhaus hatten Nuri und seine Chefin bereits die dringlichsten Telefonate geführt. So wusste der Gerichtsmediziner in Kiel nun Bescheid, was es mit dem Toten auf sich hatte, der demnächst bei ihm auf dem Tisch landen würde, und auch das Team der Spurensicherung war unterwegs hierher.

Zudem hatte Oberkommissarin Christ die Kriminalbeamten Hiesemann und Feld aus der Flensburger Mordkommission nach Schlüttsiel beordert, um die Niebüller Kollegen, die auf der Fähre waren, bei den Ermittlungen zu unterstützen. Die nämlich hatten bisher nichts Brauchbares herausfinden können.

Doch wie auch?, fragte sich Önal. Außer dem Schiffspersonal konnten sie ja niemanden mehr befragen. Die Passagiere waren allesamt verschwunden.

»Ein paar Leute, vor allem Fahrzeughalter, lassen sich nachträglich noch ermitteln, nehme ich an«, sagte der junge Kommissar, als er die steile Treppe am Deich hinaufstieg. »Die nämlich, die sich vorab namentlich einen Platz auf der Fähre reserviert haben. Das wird uns aber nicht weiterbringen, denn die meisten kommen einfach eine halbe Stunde vor Abfahrt zum Anleger, zahlen ihre Überfahrt und werden ohne Registrierung transportiert, Fußgänger genauso wie Autofahrer.«

Helene Christ, die in ihrer brandneuen Jeans hinter Önal die Stufen erklomm, erwiderte: »Und wenn es einen Mörder gibt, dann wird der sowieso nicht unter den wenigen namentlich Registrierten zu finden sein.« Wütend schlug sie mit dem Handballen auf das Metallgeländer. »Dass es hier aber auch keine Kameraüberwachung gibt! So ein Mist. Jeder Bahnhof hat inzwischen …«

»Jeder ja nun auch nicht, Frau Christ«, fiel Önal ihr ins Wort und trat auf die schmale asphaltierte Straße, die am Deich entlang verlief und dann direkt hinunter zum Fähranleger führte. »Und was die Häfen betrifft: In großen Fährhäfen gibt es natürlich Überwachungskameras, zum Beispiel in Puttgarden. Dort handelt es sich ja auch um Fährverkehr nach dem Ausland, mit regelmäßiger Zollkontrolle und allem Drum und Dran. Da werden ganz andere Sicherheitsmaßnahmen getroffen als hier.«

Er blieb stehen und zeigte auf den winzigen Hafen unterhalb des Deichs, in dem die nicht einmal vierzig Meter lange Insel- und Halligfähre Hilligenlei lag. »Der lütte Schlickrutscher da fährt nur durchs schleswig-holsteinische Wattenmeer. Wozu sollte man dafür den technischen Aufwand einer Kameraüberwachung treiben?«

»Ja doch, schon gut, ich hab’s ja verstanden«, knurrte Helene.

Überrascht warf Önal ihr einen forschenden Blick zu und sofort fiel ihm die unwirsche Miene seiner Chefin auf, etwas, das er nur selten bei ihr sah. Schon ihre nächsten Worte machten ihm klar, was sie umtrieb.

»Egal ob Ludger Möller polizeibekannt war oder nicht, und unabhängig davon, was wir vielleicht sonst über ihn herausfinden können: Ohne Einbindung der dänischen Kollegen werden wir diesmal nicht weiterkommen. Wir müssen uns bei ihm zu Hause in Tondern umsehen und sein Umfeld beleuchten. Vielleicht finden wir dann heraus, wer er war, was er gemacht hat und warum er eigentlich seinen Wohnsitz im Ausland hatte. Vor allem geht es natürlich darum, irgendwelche Ansatzpunkte für ein Mordmotiv zu finden.«

»Wenn es überhaupt ein Mord war.«

»Zweifeln Sie ernsthaft daran?«

»Nein, eigentlich nicht. Auch wenn mir das Ganze äußerst … na, sagen wir suspekt vorkommt. Wenn ich einen Krimi sehen würde, in dem jemand auf einer harmlosen Fahrt durchs nordfriesische Wattenmeer eine Giftspritze verpasst bekäme, würde ich annehmen, der Drehbuchschreiber hätte irgendetwas geraucht, was ihm nicht bekommen ist.« Er zuckte mit den Schultern. »Aber die Ausführungen des Doktors lassen eigentlich keine andere Schlussfolgerung zu, denke ich. Außerdem war Möller wahrscheinlich kein Epileptiker, jedenfalls hatte er keinen Epilepsieausweis bei sich. Bin wirklich gespannt, was das für ein Gift war.«

»Das werden wir bald wissen. Es gibt noch eine Menge anderer Fragen zu klären. In jedem Fall wird uns die Ermittlungsarbeit diesmal über die Grenze nach Dänemark führen, das ist klar.«

»Das heißt also, wir schalten das GZ in Pattburg ein, richtig?«

»Sobald wir hier fertig sind, ja.« Helene nickte. »Haben Sie eigentlich schon Erfahrungen mit dem GZ gemacht?«

»Nein, in der praktischen Arbeit bisher noch nicht. Wir haben nur während der Ausbildung einen Tag dort verbracht – Einweisung in die grenzüberschreitende Polizeiarbeit mit Skandinavien. Ziemlich beeindruckend, was sie dort machen!«

Der Besuch im Gemeinsamen Zentrum der deutsch-dänischen Polizei- und Zollzusammenarbeit, kurz GZ, hatte Nuri Önal damals sehr imponiert. Als Kontaktdienststelle für die skandinavischen Staaten direkt hinter der deutsch-dänischen Grenze eingerichtet, fungierte es als Schaltzentrale für den Informationsaustausch und die Bearbeitung von Anfragen und Ersuchen deutscher Dienststellen von und nach Dänemark, aber auch nach Schweden, Norwegen, Finnland und Island.

»Wir dürften als deutsche Beamte schließlich nicht einmal die Wohnung des Opfers in Tondern untersuchen, selbst wenn einer der Schlüssel, die er bei sich trug, tatsächlich sein Hausschlüssel wäre«, sagte Helene. »Ist umgekehrt ganz genauso. Also werden wir eng mit der dänischen Kripo zusammenarbeiten müssen. Ich informiere nachher erst einmal Staatsanwalt Petersen und dann rufe ich den Kollegen Gäthjen an.«

»Wen?«

»Erster Kriminalhauptkommissar Lennart Gäthjen, Leiter des deutschen Teams im GZ Pattburg. Der wird uns mit den Dänen in Verbindung bringen, wahrscheinlich mit den Kripo-Kollegen aus Esbjerg. Die sind für die Grenzregion zuständig.«

Önal nickte. »Sozusagen unsere Counterparts auf der anderen Seite.«

Fast bei dem kleinen Fährschiff angekommen, lachte der Kommissar plötzlich auf und zeigte auf einen weiteren Dienstwagen der Polizeidirektion Flensburg, der direkt vor der Rampe anhielt, an die ihn ein Kollege der Niebüller Kriminalpolizeistelle heranwinkte. Zwei höchst ungleiche Gestalten entstiegen dem Fahrzeug, der dicke Hiesemann auf der Beifahrer- und der lange, klapperdürre Feld auf der Fahrerseite.

»Nuri, können Sie mir mal sagen, warum wir eigentlich dahinten geparkt haben, wenn Stan und Ollie, äh … ich meine, wenn die beiden Herren hier einfach direkt bis an den Anleger fahren können?«, maulte Helene.

Ihr junger Kollege lächelte. »Sie wollten doch ein bisschen frische Seeluft schnappen, Frau Christ. Haben Sie selbst gesagt. Da dachte ich, so ein kleiner Fußmarsch …«

»Schon gut. Die beiden haben es sich jedenfalls leichter gemacht.«

»Der Kollege Feld wäre auf einem Fußmarsch über den Deich vielleicht entkräftet zusammengebrochen.«

»Unterschätzen Sie den nicht, der ist zäh!«, widersprach Helene.

»Mag sein. Aber Hiesemann nicht. Den hätte womöglich sogar der Schlag getroffen.«

»Na, jedenfalls sind die Perlen der Flensburger Mordkommission nun ebenfalls eingetroffen. Was soll da noch schiefgehen?«

4

»Hast du es sauber erledigt?«

»Wie geplant. Der kann uns nicht mehr schaden.«

»Alles glattgelaufen?«

»Natürlich, was denkst du denn? Vor der Toilette hatte sich ein kleiner Auflauf gebildet, da konnte ich es im Vorbeigehen erledigen.«

»Hat er viel Lärm gemacht?«

»Nur einmal kurz gequiekt. ›Da hat mich was gestochen‹, hat er gerufen, oder so ähnlich. Da war ich aber schon ein paar Meter weit weg. Niemand hat mich beobachtet, ganz sicher nicht. Irgendwas mit ›Hornisse‹ hab ich noch gehört. Als ob’s da draußen auf dem Wasser solche Viecher gäbe.«

»Und, wie hat das Mittel gewirkt? Wie lange hat es gedauert, bis er …«

»Keine Viertelstunde, dann ist er umgefallen und hat nur noch gezuckt. Was war das für ein Zeug?«

»Gift. Alles andere geht dich nichts an.«

»Erst fand ich das ja eine blöde Idee mit so ’ner Spritze. Hätte dem Kerl auch mit der Knarre das Licht ausgeblasen oder ihn abgestochen.«

»Ja, ordentlich knallen muss es, und Blut muss fließen, nicht wahr, du Idiot? Auf einem Schiff, von dem du nicht einfach mal eben schnell verschwinden kannst … Auf der Insel hättest du ihn erschießen sollen, aber das hast du ja nicht geschafft. Sei froh, dass ich dir die Spritze für den Notfall mitgegeben habe.«

»Also, das muss ich mir wirklich nicht gefallen lassen.«

»Nein? Denk dran, was du beim letzten Mal angerichtet hast! Noch mal: Hast du irgendwelche Spuren auf dem Schiff hinterlassen? Was ist zum Beispiel mit der Spritze und …«

»Nichts hab ich hinterlassen! Man wird nichts finden, selbst wenn man in jede Ecke schaut. Aber wieso sollte jemand das tun? Der Kerl ist tot – und gut. Gestorben an einem Herzinfarkt oder einem Krampfanfall oder so was. Der Fall ist erledigt.«

»Was ist mit seiner Reisetasche?«

»Die hab ich natürlich mitgenommen, als ich von Bord ging. Hat sich niemand drum gekümmert.«

»Konntest du ihm sein Handy abnehmen, bevor er …?«

»Nicht nötig. Das hatte er in das Seitenfach seiner Reisetasche gesteckt.«