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Inhalt

Rückentext

Die Autorin

Personen

Frauengespräche

Nur zwei kleine Schnitte

Kopfloser DGB

Schlapphut und Papiertiger

Ein Künstler sucht Sponsoren

Stahl und Licht

Schnaps für das Frollein

Der kleine Prinz

Pinot und Pauken

Rabatt und das Sexy-Doppelpack

Endlich mal leben!

Süß und bitter

Die Flöte bestimmt das Spiel

Drei Musiker und kein Komponist

Der Dichter und seine Stimme

Maskiertes Dichterleben

Hundert Jahre Einsamkeit

Steuern, Spuren, Sehnsucht

Zu den Tigern

Schönheitsbad in Mandelmilch

Schreckliche Stadt

Löwensäulen

Glocken, Gondeln, Gurren

Mordlust auf dem Markusplatz

Date in Dorsoduro

Animalisches Begehren

Gottesmutter – nein danke!

Marihuana und Mailbox

Koch, Kirche und Konzert

Stutenbissig

Miller angelt doch nicht

Treue und Verrat

Venezianische Beletage

Farben und Tempi

Wasserfall

Fiebrig

Zucker im Espresso

Muscheln und Schnecken

Wut und Wahrheit?

Schwimmender Sarg

Nicht sehr piano

Lamento d' Elvis

Chimärenstadt

Schwaches Motiv

Bierstadt winkt

Nichts ist nichts

Zurück zum Lido

Ganz taff!

Abschied von Venedig

Brötchen, Bilder und bezahlen

Ne me quitte pas!

Verzogen und vermisst

Denken? – Keine Chance

Narben und Namen

Der Nebel reißt auf

Haupt des Eros

Baby Blue

Gekrümel

Hektischer Hexameter

Geräusche

Fehlfunktion

Mandeln zum Wochenende

Teestunde bei Betty Blue

Die Wahrheit ist eine Zwiebel

Frau Schmitz ruft an

Ausklang

 

Jansen grinste, als er den Artikel gegenlas. »Du willst tatsächlich eine Dienstreise nach Venedig rausschinden, Grappa-Baby.«

»Wieso rausschinden?«, tat ich beleidigt. »Ich weiß gar nicht, was du hast. Alle Spuren führen nach Venedig. Das sieht ja wohl ein Blinder!«

»Du denkst zu eindimensional. Vielleicht haben die Morde mit den Mädchen zu tun«, gab Jansen zu bedenken. »Ein eifersüchtiger Freier. Beide Männer hatten schließlich was mit den Zwillingen.«

»So ein Quatsch«, entgegnete ich. »Ein Freier bringt die Nebenbuhler um, aber nicht die Objekte seiner Begierde. Außerdem ist der Fall nicht so platt.«

»Aber, Grappa! Platter geht es doch wohl kaum. Eine Knarre und bumm, bumm!« Jansen zielte mit seinem Arm auf mich und drückte ab. Ich zuckte zusammen.

 

*

 

Drei Leichen in der Bierstädter Zentrale des Deutschen Gewerkschaftsbundes: Der DGB-Chef und zwei Frauen, die dem Hobbymaler als ›Musen‹ dienten, wurden erschossen. Reporterin Maria Grappa glaubt zunächst an Rache der Arbeiterklasse, doch dann schlägt der Mörder ein zweites Mal zu. Neben dem toten Mundartdichter Karl Krawottki findet Grappa eine venezianische Maske. Und noch andere Spuren führen nach Venedig, wo sich die rothaarige Journalistin, ein sensibler Komponist, ein knochenharter Staatsanwalt und ein schöner Koch ein spannendes Versteckspiel liefern.

 

*

 

Gabriella Wollenhaupt gelingt das Unmögliche: grausame Verbrechen, zeitlose Poesie, schrägen Humor und knisternde Spannung in einer Geschichte zu vereinen – und so bestens zu unterhalten.

E-Book © 2013 by GRAFIT Verlag GmbH

Originalausgabe © 2004 by GRAFIT Verlag GmbH

Chemnitzer Str. 31, D-44139 Dortmund

Internet: http://www.grafit.de/

E-Mail: info@grafit.de

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagillustration: Peter Bucker

eISBN 978-3-89425-994-5

Gabriella Wollenhaupt

 

 

 

Grappa und der Tod aus Venedig

 

 

 

Kriminalroman

 

 

 

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Die Autorin

 

 

Gabriella Wollenhaupt, Jahrgang 1952, arbeitet als Fernsehredakteurin in Dortmund.

Als Kriminalschriftstellerin debütierte sie im Frühjahr 1993 mit Grappas Versuchung. Es folgten zahlreiche weitere Romane mit und ohne Grappa. Sämtliche Ermittlungen der rothaarigen Reporterin sind als E-Book lieferbar.

www.gabriella-wollenhaupt.de

Personen

 

 

Michelangelo Baci ein Mann mit Möglichkeiten

Betty Blue ist schlauer als jeder Mann

Anton Brinkhoff ein Mann mit Moral

Kati Fidibus Mann muss sie mögen

Veronica Franco liebt Männer und Musik

Maria Grappa liebt Mann und das Melodram

Ansgar Hunze ein Mann mit Macken

Lotte Hunze vermisst keinen Mann

To Dinh Huong will keinen Mann

Puppa und Rosi Ischenko brauchen Männer mit Geld

Peter Jansen ein Mann, der Fakten sehen will

Karl Krawottki sollte Mann wirklich nicht lesen

Bob Rabatt eher Macho als Mann

Anneliese Schmitz backt sich ihren Mann

Ben Wiesengrundel ein Mann in verklärten Nächten

Sie werden bezahlen.

 

aus: Thomas Mann Der Tod in Venedig

Maybe I didn't treat you

Quite as good as I should have

Maybe I didn't love you

Quite as often as I could have

Little things I should have said and done

I just never took the time

You were always on my mind

 

gesungen von Elvis Presley

Frauengespräche

 

 

»Weißt du, Grappa«, sagte Kati, »du hättest nicht Journalistin, sondern Psychologin werden sollen.«

»Ach was?«, wunderte ich mich. Dass mir jemand Einfühlungsvermögen unterstellte, passierte nicht oft. »Wie kommst du denn da drauf?«

»Du bist eine, die um die Ecke denken und sich mit Gestörten voll identifizieren kann, weil sie ihnen geistig nahe ist.«

»Herzlichen Dank«, meinte ich eingeschnappt. »Schön, dass ich endlich mal erfahre, dass du mich für bekloppt hältst.«

»Tu ich doch nicht! Aber neurotisch bist du schon ein bisschen.«

»Meine Neurosen machen das Leben bunt.« Ich griff zum Wein. »Zumindest meins.«

Kati hob das Glas und prostete mir zu. Ich hatte italienisch gekocht und das passende Getränk besorgt: einen leichten Rosé aus dem ›sonnendurchfluteten‹ Friaul – so stand es wenigstens auf dem Etikett. Sonnendurchflutet wäre jetzt schön gewesen – draußen goss es in Strömen.

»Ich mag dich jedenfalls.«

»Hast du nicht schon eine Mutter?«, muffelte ich.

»Klar, aber die versteht mich nicht.«

»Und ich verstehe dich?« Rührung stieg in mir auf und ich schob ihr die Schüssel mit dem Nachtisch hinüber.

»Irgendwie schon. Du gehst prima auf mich ein und nimmst mich ernst.«

»Du stellst mein psychologisches Können allerdings oft auf eine harte Probe. Und meine Geduld. Kann mir gut vorstellen, dass deine Mutter sich mit dir schwer tut. Allein deine vielen Männergeschichten! Die halten ja sogar mich ordentlich auf Trab!«

»Jeder Mensch muss jemanden haben, dem er sich anvertrauen kann und der ihm gute Ratschläge gibt. Und ich hab dafür dich.«

Jetzt hatte mich die Rührung tatsächlich vollständig im Griff. »Mach ich doch gern«, behauptete ich. »Aber im Ernst: Wenn jemand psychologisch betreut werden muss, dann sind es deine abgelegten Lover.«

»Echt?« Kati tat überrascht. »Soll ich sie zu dir in die Sprechstunde schicken?«, grinste sie.

»Ich glaube nicht, dass ich die wieder alltagstauglich recyceln kann«, entgegnete ich. »Aber ich geb's zu: Die letzten neuneinhalb Wochen waren wirklich prickelnd. Du solltest einen Roman drüber schreiben!«

»Den schreibst du«, erklärte Kati und löffelte sich das Tiramisu mit einer affenartigen Geschwindigkeit in den Mund. »Ich mache einfach weiter, erzähl dir alles und du machst einen tollen Sex-Roman daraus. So einen ähnlichen wie diesen Schocker aus Frankreich. Von der Millet – oder wie die Mutter heißt. Sie hatte manchmal fünfzehn Männer am Tag und ...«

»Die kann dem Weihnachtsmann erzählen, dass sie Spaß dabei hatte«, unterbrach ich Kati.

»Mit dem hat sie es bestimmt auch getrieben«, kicherte sie.

»Die Frau mochte keine Männer mit Bart«, sagte ich – ohne es wirklich zu wissen. »Und ein Buch schreibe ich über dein Sexualleben bestimmt nicht. Schriftsteller sollten nur über das schreiben, was sie selbst erlebt haben – habe ich mal irgendwo gelesen. Nur dann wird es richtig gut.«

»Dann wirst du wohl nie einen erotischen Roman zu Stande bringen, Grappa!«

»Könnte sein«, stimmte ich milde zu. »In meinem Alter schreiben die Frauen eher Kochbücher oder fangen mit dem Sammeln von Insel-Büchern an.«

»Stimmt!« Kati deutete auf das kleine Regal, in dem ich meine ›Schätze‹ aufbewahrte. »Hast du die Schinken wenigstens durchnummeriert?«

»Brauche ich nicht. Die haben schon fortlaufende Nummern.«

»Apropos Nummer! Wann warst du eigentlich das letzte Mal verliebt?«

»Das ist schon Lichtjahre her.«

»Was ist eigentlich Liebe?«

O je, immer diese Sinnfragen!

»Keine Ahnung«, gab ich zu. »Ich denke, dass man Liebe schon merkt. Bis dahin ist Erotik ja auch sehr schön.«

»Also Sex!«

»Pass mal auf, Kati.« Ich nahm noch einen Schluck Rosé. »Ich will dir mal den Unterschied zwischen plattem Sex und erstklassiger Erotik erklären. Sex ist die Rein-raus-Nummer und Erotik ist ...« Ich suchte nach den passenden Worten.

»Nicht die Rein-raus-Nummer?«, fragte sie scheinheilig.

»Erotische Anziehung hat nicht unbedingt etwas mit der Lust auf einen Koitus zu tun. Den bringt ja nun fast jeder Mann auf die Reihe, wenn er körperlich einigermaßen fit ist. Bei Erotik geht es um eine Geschichte zwischen zwei Menschen. Er sieht ihren Nacken, in dem sich eine Locke kringelt, und wird sofort hart. Oder er sieht, wie sie den Tropfen ableckt, der an einem Weinglas herunterläuft, und stellt sich ihre Zunge woanders vor. Oder sie sieht seine Hände den Hals eines Pferdes streicheln und würde ihr Leben dafür geben, wenn seine Hände an oder in ihr wären ... So in etwa. Kapiert?«

»Ich hab noch nie einen Mann getroffen, der ein Pferd dabeihatte.«

»Du kannst das Pferd auch gegen einen Porsche tauschen«, lachte ich. »Dann streichelt er eben das Armaturenbrett. Vorgestern hab ich zufällig an einer Tankstelle neben einem attraktiven Mann gestanden, der den Tankkolben sehr elegant in den Einfüllstutzen seines Wagens senkte. Wir sahen uns voll in die Augen und dachten beide dasselbe.«

»Und?«

»Was ›und‹?«

»Wie ging's aus?«

»Wir lächelten uns an und zogen unserer Wege.«

»Und das ist für dich Erotik?« Kati schaute mich erstaunt an.

»Ja. Weniger erotisch war allerdings, dass ich nach dem Tanken das Bezahlen vergaß und es erst merkte, als ich schon wieder ein paar hundert Meter gefahren war. Der Tankwart war gerade dabei, der Polizei meine Autonummer durchzugeben, aber ich konnte die Sache noch hinbiegen.«

»Hört sich eher nach Alzheimer an. Stell dir mal vor, der Typ wäre dir gefolgt ... oder du ihm!«

»Genau. Und unsere Stoßstangen hätten sich zärtlich berührt ... bei hundertzwanzig Stundenkilometern«, ließ ich mich mitreißen.

»Und plötzlich das!« Kati sprang auf, riss die Arme auseinander und klatschte laut in die Hände: »Piff, paff! Eure Tanks fangen Feuer, er rettet dich in letzter Sekunde aus dem brennenden Wrack ...«

»Ach, Kati«, seufzte ich. »Er hätte wohl eher seinen Laptop oder den Aktenkoffer gerettet als mich. Wenn's drauf ankommt, bleibt bei Männern die Romantik als Erstes auf der Strecke! Außerdem gibt's schon genug Unfälle und Staus auf der A 1.«

Doch so schnell gab Kati nicht auf. »Okay. Dann eben kein Unfall. Vielleicht wäre er dir bis zum nächsten Parkplatz gefolgt ... und dann hättet ihr euch die Kleider vom Leib gerissen.«

»Bei dem Wetter? Es regnet seit Tagen.«

»Und während ihr es treibt, kommen im Radio die Verkehrsmeldungen«, kicherte sie, meinen pragmatischen Einwand ignorierend. »Und dann kommt ihr beide.«

»Als Erstes käme die Autobahnpolizei. Und zwar vorbei.«

»Ich mach mal eben einen Espresso«, kündigte Kati an, rülpste ein wenig, stand auf und ging in die Küche. Ich sah ihr nach. Sie belegte seit über zwei Monaten mein Gästezimmer. Sie war noch keine dreißig, die Tochter einer Freundin und für ein paar Monate in Bierstadt. Sie studierte Jura und machte zurzeit ein Praktikum bei der Staatsanwaltschaft.

In der Küche fauchte die Espressomaschine. Dann hörte ich Geklapper von Geschirr und Katis Schritte. Sie hatte die Angewohnheit, mit dem ganzen Fuß aufzutreten, das Geräusch ihrer Fortbewegung hatte mit dem affektierten Trippeln weiblicher Stöckelbeine nichts zu tun. Auch sonst war sie eher der herbe Frauentyp, was ihren Erfolg bei Männern jedoch nicht beeinträchtigte. Sie nannte die Art Männer, die auf sie flogen, frech ›Warmduscher‹ und stellte ihnen gern mal ihre starke Frauenschulter zum Anlehnen zur Verfügung.

»Was ist das eigentlich für ein komischer Napf im Schrank?«, fragte Kati, während sie die kleinen Tässchen auf den Tisch stellte. »Lässt du deine Lover den Champagner aus einem Hundenapf trinken?«

»Ich hatte mal einen Kater«, klärte ich sie auf. »Er hieß Eberhard, aß sein Futter immer aus Glasschälchen und trank sein Wasser aus genau diesem Napf.«

»Was ist mit ihm?«, fragte sie. »Unters Auto gekommen?«

»Er ist an die Mosel gezogen und bringt verklemmten Weinbergschnecken das Fliegen bei.«

»Alles klar!« Kati sah mich an, als hätte ich sie nicht alle. »Und meine Mutter macht zusammen mit dem Papst eine Herrenboutique in Wuppertal auf!«

Wir lachten sogar über diesen Uralt-Gag. Dann gähnte sie: »Lass uns ins Bett gehen, ja?«

»Ich muss noch aufräumen.«

»Okay, dann geh ich schon mal vor dir ins Bad.«

Na prima, dachte ich. Auf die Idee, sich an den Arbeiten zu beteiligen, war Kati noch nie gekommen.

Aber das Geschirr und die Gläser waren schnell zusammengestellt und in die Küche gebracht, die Krümel ließen sich ganz leicht vom Parkett fegen, dann stellte ich noch Katis Schuhe in den Flur und räumte die Spülmaschine ein.

»Fertig!«, rief Kati. Sie bezog das wohl auf ihre Toilette in meinem Badezimmer. »Gute Nacht, Grappa, schlaf schön.«

Ich wünschte ihr das Gleiche, schraubte im Bad die Zahnpastatube zu, entfernte ihre blonden Haare aus meiner Bürste und legte den Deckel meiner Nachtcreme wieder auf den Tiegel.

Bleib ruhig, Grappa, sagte ich mir, Gastfreundschaft ist eine der schönsten und edelsten menschlichen Tugenden. Auf dem Weg in mein Schlafzimmer stolperte ich im schlecht beleuchteten Flur über Katis Rucksack und konnte gerade noch die Balance behalten.

Nur zwei kleine Schnitte

 

 

Ja, der Kater war weg und ich schwache Frau musste wieder allein mit mir und den Widrigkeiten des Lebens klarkommen. Nicht wirklich ein Problem, denn durch meine Arbeit beim Bierstädter Tageblatt, der liebenswerten Familienzeitung am Rande des Reviers, hatte ich zu viel um die Ohren, um mich depressiven Stimmungen lange hingeben zu können.

Seit über zehn Jahren war ich die Polizei- und Skandalreporterin des Blattes, schrieb über alles, was mir vor die ›Flinte lief‹, was mir wichtig war und was meinen Jagdinstinkt befriedigte.

Leider wurde das Wild, das sich zu erlegen lohnte, immer spärlicher und Erfolgserlebnisse blieben immer häufiger auf der Strecke. Es lag bestimmt nicht an meiner Arbeit, dass Feld und Flur bereinigt schienen, war die Welt doch auch weiterhin schlecht, waren die Menschen egoistisch und herzlos und die Politiker korrupt und skrupellos.

Hatte ich mich nicht schon lange mit der real existierenden Situation arrangiert? Kati würde sagen: Das geht dir inzwischen alles am Arsch vorbei – und sie hätte damit Recht. Die Zeiten, in denen ich zu Friedensmärschen aufbrach, mir die Hände mit dem Wachs von Lichterketten verklebte oder nächtens auf Feldern wachte, um den Bau von Flugzeugstartbahnen zu verhindern, waren für immer perdu.

Du wirst alt, Grappa, dachte ich, und zwar im Galopp. Du streichelst heute schon ungebeten jede Katze, die deine Laufbahn kreuzt, und kriegst feuchte Augen beim Blick in fremde Kinderwagen. Auch das kleine Mädchen, das neulich im Supermarkt – meiner angesichtig – seinen Vater fragte: »Papa, ist das eine alte Frau?«, hatte wohl das richtige Gespür für Zeitläufte. Tiefe Seufzer entrangen sich meiner Brust.

»Was machst du denn für ein Gesicht?«, fragte Peter Jansen. Er war in mein Zimmer gekommen, ohne dass ich es bemerkt hatte.

»Ich werde alt«, jammerte ich. »Meine Kräfte lassen nach, mein Körper verändert sich, alles fällt der Erdanziehung zum Opfer und ab und zu krieg ich schon die eine oder andere Hitzewelle. Meinst du, ich sollte Hormone nehmen?«

»Bloß nicht«, meinte mein Chef. »Dann kriegst du vielleicht Haare auf der Brust oder dir wächst ein Penis.«

»Ich kann mir auch erst mal das Gesicht straffen lassen«, schlug ich vor.

»Hast du doch nicht nötig, Grappa-Baby«, log er. »Nennt man dich nicht auch Pfirsichblüte? Oder war's Kullerpfirsich?«

»Guck mal«, forderte ich ihn auf und zog mit zwei Fingern die Haut meiner Wangen nach oben. »Nur zwei kleine Schnitte und ich sehe zehn Jahre jünger aus.«

»Siehst du nicht«, widersprach er. »Schlitzaugen stehen dir nicht. Du bist Grappa und nicht Suzie Wong. Also hör auf mit dem Blödsinn.«

»Ich könnte mich ausschütten vor Lachen«, motzte ich. »Und die Hitzewellen?«

»Dreh die Heizung runter, mach das Fenster auf und such dir einen jungen Liebhaber. Oder mehrere.«

»Ich habe keine Lust mehr auf eine Welpenspielgruppe«, wehrte ich seinen Vorschlag ab. »Das Schlimme ist, dass die manchmal mit mir reden wollen. Wenigstens dazwischen. Und jetzt sag mir noch was Nettes, bitte!«

»Was denn?«

»Die nächsten Lottozahlen!«

Wir lachten und es ging mir gleich etwas besser. Jansen schaffte es doch immer wieder, mich auf den Teppich zurückzuholen und depressive Wolken zu verscheuchen.

»Wie wär's mit einem Mandelhörnchen?«, fragte er.

»Verführer! Zu viele Kalorien.«

»Warum, glaubst du, bin ich in dein Zimmer gekommen?«

»Hast du etwa ...?«

»Klar. Heute ist Montag.«

»Du bist extra für mich in der Konditorei gewesen?« Wärme stieg in mir auf und das Wasser lief mir im Mund zusammen.

Feierlich reichte mir Jansen eine weiße Papiertüte. »Meine Sekretärin macht gerade frischen Kaffee. Ich dachte mir, dass die Woche für dich harmonisch und lecker beginnen sollte. Also, Grappa, iss und trink und fang dann endlich an zu arbeiten.«

»Ich bin gerührt!«

»Was tut man als Chef nicht alles für ein gutes Arbeitsklima.« Damit trottete er aus meinem Zimmer.

Endlich war die Tür zu und ich konnte über das erste Hörnchen herfallen. Eigentlich mochte ich Süßes nicht besonders gern, aber den gebogenen Dingern vermochte ich nicht zu widerstehen. Ihre goldbraune Farbe erhielten sie durch feingehobelte, geröstete Mandeln auf der Außenhaut und ihr weiches und leicht zähes Inneres konnte wahlweise gelutscht oder gekaut werden. Der Höhepunkt war für mich allerdings die späte Attacke auf die beiden in Bitterschokolade getauchten Enden. Erst aß ich die Mitte weg, bis nur noch die schwarzbraun überzogenen Stücke übrig waren; die blieben dann eine Weile liegen und ich schlich um sie herum – sie ständig beobachtend –, manchmal vertilgte ich sie erst Stunden später, meist kombiniert mit einer starken Tasse Kaffee. Die Art der Hörnchenbehandlung hatte manchmal orgiastische Züge und war so spannend, wie einen schnuckeligen Mann von seiner Kleidung zu befreien – nur dass ich da meist viel zügiger zu Werke ging.

Bevor ich mich weiter in unpassenden Gedanken ergehen konnte, klingelte mein Handy. Kati, verriet mir das Display.

»Hier Grappa«, sagte ich kurz.

»Drei Tote«, teilte sie mir mit. Sie nannte einen Namen und eine Adresse in der Innenstadt und legte den Hörer auf.

Ich stopfte mir die Reste des hellen Hörnchenteils in den Mund, ließ sonst alles stehen und liegen – auch die beiden Schoko-Enden – und lief in Jansens Büro. Der hatte gerade den Telefonhörer in der Hand und sprach mit jemandem. Er sah mich, wusste sofort, dass etwas Wichtiges passiert war, und verabschiedete sich von seinem Gesprächspartner.

»Alarm«, verkündete ich. »Drei Leichen. Im DGB-Haus!«

»Beim Gewerkschaftsbund?«, wiederholte er. »Ist der Tipp sicher?«

»Klar. Meine Quelle sitzt an der Quelle.«

»Die Kleine bei der Staatsanwaltschaft?«

»Genau die«, bestätigte ich.

»Gut! Die ist ja fixer als die Bluthunde«, freute sich sein Journalistenherz.

Das Telefon meldete sich wieder, diesmal waren es bestimmt die Blaulichtreporter. Jansen hob ab und sagte: »Danke, wir haben es schon mitgekriegt. Grappa ist gleich da.« Und zu mir: »Du kriegst hundert Zeilen auf der Eins. Welchen Knipser willst du?«

Kopfloser DGB

 

 

Das Haus des Deutschen Gewerkschaftsbundes lag mitten in der City, war ein schlichter Plattenbau mit gelblichem Anstrich und mit alten und neuen Graffiti verziert. Ich war schon oft hier gewesen, hatte an zahlreichen Pressekonferenzen teilgenommen, in denen es um Tarifautonomie, Arbeitnehmerrechte, Warnstreiks und die nächsten Protestaktionen gegen Sozialabbau oder Ausländerfeindlichkeit gegangen war.

Im Erdgeschoss befand sich der Laden der Büchergilde Gutenberg, daneben das Reisebüro des DGB und eine chemische Reinigung. Darüber thronten die ver.di-Leute und ganz oben die Metaller und der DGB. Und dort mussten wohl gerade drei Tote herumliegen.

Ich wartete auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf den Fotografen und versuchte, mich unauffällig zu verhalten. Es war nur eine Frage der Zeit, wann es hier vor Kamerateams und Kollegen wimmeln würde.

Ein Blick zur Tür sagte mir, dass niemand das Haus betreten oder verlassen konnte. Zwei Mitglieder der Staatsmacht hatten sich vor den Eingang gestellt und würden alles aufhalten, was sich ihnen näherte – egal aus welcher Richtung.

Ich überquerte die Fahrbahn, ein Auto bog genau in dem Augenblick um die Ecke und hätte mich fast erwischt. Bremsen quietschten, Passanten blieben stehen und guckten, auch die beiden Polizisten vor dem DGB-Haus schenkten dem Vorfall ihre Aufmerksamkeit.

Der Wagen fuhr rechts ran und hielt im absoluten Halteverbot. Dann öffnete sich die Fahrertür und ein paar lange Beine kippten auf die Straße, gefolgt von einem mächtigen Oberkörper.

Ich trat zum Auto hin. »Wahnsinnig geiler Auftritt, Miller!«, blaffte ich den Fotografen an. »Geht's nicht noch auffälliger?«

»Ciao, cara mia«, meinte Miller. Endlich hatte er sich aus dem Roadster geschält. Die Karre war Millers Ein und Alles, sie rangierte noch vor seinem Fotogerät. Der feuerrote Alfa Spider mit dem auffälligen selbst gebastelten Presse-Schild auf der Sonnenblende des Beifahrersitzes war in der ganzen Stadt bekannt.

»Wo?«, fragte er.

Er war inzwischen voll bewaffnet: Über der Schulter hingen zwei Kameras mit unterschiedlichen Objektiven, in den Schlaufen einer Art Safari-Jacke, in denen Großwildjäger ihre Geschosse zu deponieren pflegten, steckten die Filme. Miller war bekennender Fan eines Internet-Auktionshauses und da hatte er auch die ›mördermäßig geile‹ Jacke her. Sie sah so aus, als habe sie Hemingway schon bei seinen Jagdausflügen getragen – abgeschabt und mit Blutflecken drauf.

»Wohl ganz oben«, antwortete ich. »Drei Leichen im Büro.«

»Hört sich wie ein Filmtitel an«, meinte Miller cool und checkte mit seinem Künstlerblick das Gebäude.

In der DGB-Etage war nicht viel zu sehen, die Fenster waren verhängt. Ab und zu zog eine männliche Gestalt die Vorhänge beiseite, schaute nach unten, um kurz darauf wieder alles blickdicht zu verschließen.

»Wie kommst du da rein?«, fragte ich Miller. »Schon eine Idee, Maestro?«

»Wir warten einfach, bis die Bullen runterkommen«, meinte er. »Oder die Leichen abtransportiert werden.«

»Na toll. Die Bilder haben aber dann alle«, gab ich zu bedenken. »Fällt dir wirklich nicht mehr ein zu dem Thema?«

Meine Devise lautete: Provokation erzeugt Motivation und dann Aktion. So was Ähnliches hatte ich mal in einem Buch über Menschenführung gelesen.

»Mann, du Schlaffi«, legte ich – psychologisch geschickt – nach. »Wenn du nicht bald die Hufe schwingst, mach ich die Fotos selbst! Du wirst nicht fürs Rumlungern bezahlt.«

»Ich kann ja mal ums Haus rumgehen«, schlug Miller halbherzig vor. »Vielleicht gibt's hinten noch einen Eingang, an dem kein Polizist steht.«

»Na also, Superidee«, rief ich begeistert aus. »Und warum bist du noch nicht weg, du Künstler?«

»Mein Wagen steht im Halteverbot«, fiel ihm ein. »Ich müsste ihn noch eben ...«

»Nix da!«, stoppte ich. »Willst du warten, bis es hier von Kollegen wimmelt? Also, los!«

Knurrend trollte er sich und verschwand hinter dem Gebäude. Ein Gefühl sagte mir, dass er von dem erstbesten Grünrock aus dem Verkehr gezogen werden würde.

Vor dem Gewerkschaftshaus hatte sich inzwischen eine Menschentraube gebildet und jetzt trudelten auch die Fernsehjournalisten und Kamerateams ein.

»Was weißt du?«, fragte Bahnchef Schlehdorn, ein Kollege vom Regionalfernsehen. Sein richtiger Name war mir entfallen, aber er hatte alle Eisenbahnfahrpläne der Welt im Kopf und notierte die Verspätungen der Regionalzüge jeden Abend in sein Notizbuch. Böse Zungen, zu denen ich ja nicht gehörte, sagten ihm nach, dass er beim Sex mit seiner Freundin die Geräusche einer Dampflok täuschend ähnlich nachzuahmen pflegte, und wenn er dann mit einem aufgeregten »Töff-Töff« bei ihr »auf Gleis 8« einfuhr, kam er eher zu früh als zu spät und bügelte so die Verspätungen der Bahn AG virtuos aus.

Er war eine Seele von Mensch und ich mochte ihn total gern.

»Drei Tote«, antwortete ich knapp. »Oben beim DGB.«

»Sind die Leichen schon weg?«

»Nö. Die sichern wohl noch die Spuren. Sonst alles klar bei dir? Kamen die Bimmelbahnen heute pünktlich?«

Der Bahnchef schüttelte ernst den Kopf. »Die Regionalbahn zwischen Unna und Bierstadt hatte Stromausfall, Berchtesgaden musste umgeleitet werden und vor Richard Wagner hat sich ein Selbstmörder geworfen.«

»In diesem Land tobt das Chaos!«, rief ich aus. »Wohin das wohl noch führt?«

Er ließ mich mit meiner Frage allein, murmelte ein knappes Tschüss, drehte von der Schulter eine Halbtotale vom Haus, schwenkte dann auf die Straße, denn da kamen sie sachte angerollt, die schwarzen Leichenwagen mit den verhangenen Fenstern. Sie würden die Toten in die Pathologie bringen.

Na toll, dachte ich, das Foto kann ich mir schon mal klemmen, Miller trieb sich im Haus herum, wenn er überhaupt noch auf freiem Fuß war. Ich sah mich um, es waren zum Glück genug freie Fotografen da, von denen man Fotos ankaufen konnte. Außerdem hatte ich meinen eigenen kleinen Fotografen in der Handtasche: eine digitale Kamera für Notfälle.

Jetzt klingelte auch noch mein Handy – wieder Kati.

Braves Mädchen, dachte ich und sagte: »Hier Grappa ...«

»Gehört dieser Trottel zu dir?«, fragte sie.

»Miller?« Ich hatte es befürchtet.

»Er hat versucht, über die Toilette der Büchergilde ins Haus einzusteigen.«

»So viel Einsatz hätte ich ihm gar nicht zugetraut«, wunderte ich mich.

»Die Kollegen haben ihn vorläufig festgenommen«, berichtete sie weiter.

»Vergiss Miller. Erzähl mir lieber, was bei euch los ist«, forderte ich sie auf. »Wer sind die Toten?«

»Keine Ahnung.«

»Was heißt denn das?«

»Die Köpfe sind weggeschossen. Was glaubst du, wie es hier aussieht? Der Täter hat wohl ein großes Kaliber mit ordentlicher Schlagkraft benutzt. Von den Wänden tropft Hirn!«

Ich schluckte. »Aber ob sie männlich oder weiblich sind, kannst du doch noch erkennen, oder?«

»Ja. Zwei Frauen, ein Mann. Und der Mann ...«

»Ja?«, sprach ich in die Pause.

»Den Kleidern nach zu urteilen, handelt es sich um den DGB-Boss selbst. Hunze heißt der.«

»Hunze ...«

»Der Mörder hat ihm so einen gelben Helm auf den Kopf gesetzt ... beziehungsweise auf das, was davon noch übrig ist. Sieht nicht wirklich gut aus.«

»Gibt es Zeugen?«

»Wir sind erst bei der Spurensicherung«, flüsterte Kati. »Die Vernehmungen machen wir danach.«

»Also ist der Mörder flüchtig?«

»Klar ist er das. So, ich muss wieder rein. Sonst merkt Rabatt noch, dass ich mit dir telefoniere.«

Rabatt war der Oberstaatsanwalt, dem sie zugeteilt war.

»Was ist mit Miller?«, erinnerte ich mich. »Schickt ihr ihn wieder raus?«

»Der wird wohl erst mal wegen Behinderung polizeilicher Ermittlungen aufs Präsidium gebracht. Achtung – die Toten werden jetzt weggeschafft.« Sie beendete das Gespräch.

Tatsächlich: Ein Polizist im weißen Schutzanzug öffnete die Tür für die Mitarbeiter des Beerdigungsinstitutes, die mit ernsten Mienen aus den schwarzen Wagen gestiegen waren.

Und schon trugen sie den ersten Alusarg wieder heraus. Blitzlichtgewitter und Kamerasurren, Reporter brachten ihre Mikrofone in Position. Sarg zwei und drei folgten. Ich drängelte mich zwischen zwei Kamerateams, duckte mich unter den Objektiven her und betätigte den Auslöser der Mini-Kamera. Irgendwas würde schon drauf sein.

»Weg da! Du versaust mir die Bilder«, maulte ein Kameramann.

Ich zeigte ihm den gestreckten Mittelfinger meiner rechten Hand. Wir konnten den Fight nicht weiterführen, denn Oberstaatsanwalt Rabatt rauschte durch die Tür, hinter ihm Kati, die eine hochoffizielle Miene aufgesetzt hatte und ganz wichtig aussah. Sie würdigte mich nur eines kurzen Blickes.

Klar, dass wir so taten, als würden wir uns nicht kennen. Die Kollegen brauchten nicht zu wissen, wer meine Quelle war, und die Staatsanwaltschaft auch nicht. Irgendwann würde man sowieso dahinter kommen – aber diesen Zeitpunkt wollten Kati und ich möglichst lang hinauszögern.

Die TV-Journalisten und Radioreporter standen in der ersten Reihe. Ich stellte mich so, dass ich die Statements mithören konnte. Doch Rabatt tat das, was er immer tat: Er vertröstete die Journalisten auf die Pressekonferenz am Nachmittag.

Ein Polizeiauto fuhr vor und lud Rabatt und Kati ein. Wenig später wurde Miller aus dem Haus geführt. Er sah Hilfe suchend zu mir hin und machte eine rudernde Armbewegung.

»Miller! Bist du etwa der Mörder?«, frotzelte ein Kollege. Auch die anderen machten ihre Scherze.

»Deshalb muss die arme Grappa hier so hektisch rumknipsen«, vernahm ich.

»Das ist Behinderung der Pressefreiheit«, brüllte Miller den Polizisten an, der ihn begleitete. Dessen Gesicht verzog sich nicht.

»Grappa, kannst du mein Auto zum Verlag fahren?« Millers Stimme war jetzt nicht mehr ärgerlich, sondern verzweifelt. Er sorgte sich um sein ›Baby‹.

Gekonnt warf er mir den Schlüssel zu, bevor er auf den Rücksitz eines Polizeikombis gedrückt wurde.

Schlapphut und Papiertiger

 

 

Der Alfa Spider fuhr sich nur halb so schnittig, wie ich geglaubt hatte. Irgendwas stimmte mit der Kupplung nicht und auch die Bremsen schienen nicht ganz okay zu sein – wahrscheinlich bremste Miller nur in absoluten Notfällen. Jedenfalls war ich froh, als ich mich aus der Karre schwingen konnte und wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

Jansen nahm die Information über das plötzliche Ableben von Hunze gelassen hin und meinte nur: »Endlich bleibt uns sein Gelaber zum 1. Mai erspart.«

»Die haben noch mehr von diesen Burschen und werden uns bestimmt einen neuen schicken«, stoppte ich seine Euphorie. »Diese Typen kommen mir immer vor wie geklont. Ob die beim DGB Sabbelbakterien ins Trinkwasser einspeisen?«

»Liegt wohl eher an den Textbausteinen, die die Zentrale ihnen für ihre Reden an die Hand gibt«, mutmaßte Jansen. »Das haben sie sich wahrscheinlich beim Arbeitgeberverband abgeguckt.«

Genug geplaudert, ich musste noch vor der Pressekonferenz der Staatsanwaltschaft ein paar Basisinformationen über Hunze zusammensuchen.

Ich fand überraschend viele. Aber mir fehlte die Zeit, sie sofort gründlich zu lesen, denn ich musste los. Mal sehen, was der Oberstaatsanwalt freiwillig an Neuigkeiten herausrückte. Den fehlenden Rest würde mir Kati dann beim Abendessen erzählen.

Auf dem Weg zum Parkplatz kam mir Miller entgegen. Er machte einen gebeutelten Eindruck und ein mürrisches Gesicht.

»Na, den Fängen der Staatsmacht entkommen?«, frotzelte ich.

»Du bist eine echte Zicke, Grappa! Wer hat mich denn in das Haus reingejagt?«

»Na ja, ich wollte dir die Chance eröffnen, drei Leichen zu knipsen und das Geschäft deines Lebens zu machen«, grinste ich. »Ist das mein Problem, wenn du sie dir versaust?«

»Die haben mich von oben bis unten gefilzt«, jammerte Miller.

»Mein Gott«, stöhnte ich. »Nun stell dich nicht so an! In anderen Ländern lägst du jetzt auf der Folterbank und würdest mit Elektroschocks gequält.«

»Das täte vielleicht weniger weh, als von dir dauernd rumgeschubst zu werden!«

Die Replik war nicht übel, wenn man seinen IQ berücksichtigt, dachte ich.

»Wo hast du meinen Alfa abgestellt?«

»Auf dem Parkplatz – wo sonst? Die Karre ist übrigens etwas schwergängig«, berichtete ich ihm. »Die Kupplung spinnt und die Bremsen sind in einem miserablen Zustand. Hast du den Wagen auch über eBay ersteigert?«

»Liegt wohl eher an deinem Fahrstil, Grappa«, entgegnete er. »Bei mir läuft der Motor immer tadellos. Der will liebevoll und nicht brutal behandelt werden!«

»Komm, Baby«, sagte ich gönnerhaft und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. »Wir zwei Hübschen gehen jetzt zur Staatsanwaltschaft. In zehn Minuten startet die große Show. Aber zieh vorher den Tarnanzug aus, ja?«

 

Die Staatsanwaltschaft führte ihre Pressekonferenzen traditionsgemäß im Polizeipräsidium durch. Das Gebäude war bequem zu Fuß zu erreichen. Miller meckerte noch immer über seine rüde Behandlung durch die Polizei und ich stellte meine Ohren auf Durchzug. Männer neigten nun mal zu Lamentos, wenn sie ihr Ego angekratzt glaubten.

In dem Besprechungszimmer tummelte sich die geballte Medienmacht. Hörfunk, Fernsehsender und zahlreiche Nachrichtenagenturen.

Oberstaatsanwalt Bob Rabatt saß – Pfeife rauchend – am Tisch, neben sich Kati, die in der grauen Männerrunde flippig und bunt wirkte. Mein alter Freund Anton Brinkhoff, Leiter der Bierstädter Mordkommission, schenkte ihr gerade Kaffee ein.

Rabatt räusperte sich und drückte den stinkenden Brennstab im Aschenbecher aus. Das bedeutete, dass es gleich losgehen würde. Die Kamerateams schalteten ihr Licht an.

Wie oft schon hatte ich dieses Ritual von Fragen und Antworten mitgemacht, mal mehr, mal weniger engagiert. Die Staatsanwälte und Polizisten kamen und gingen, die Journalisten auch und ich fragte mich, wie lange ich hier wohl noch würde hingehen müssen?

Die Worte des Staatsanwaltes rauschten an mir vorbei, die Sprache, die er verwendete, erstickte in steifen Substantivierungen. »Die Verbringung der Tatopfer in die Pathologie ...«, sagte Rabatt. Die drei Toten wurden entmenschlicht, waren nur noch längliche Pakete, die auf abwaschbare Tische gehievt und dann aufgeschnitten wurden.

Der Oberstaatsanwalt erzählte erst mal nichts über den Zustand der Leichen und über die Art der Waffe. Natürlich ahnten die Medienleute, dass dies keine ›gewöhnlichen‹ Morde sein konnten, denn Rabatt sprach von »Schwierigkeiten bei der Klärung der Identität der drei Opfer«.

»Bei dem Mann handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um den DGB-Chef Ansgar Hunze«, informierte dagegen Hauptkommissar Anton Brinkhoff und fing sich prompt einen unfreundlichen Blick von Rabatt ein. Brinkhoff nahm es gelassen und legte noch nach: »Die beiden weiblichen Opfer allerdings müssen noch identifiziert werden. Wir haben aber in den Handtaschen der Frauen Ausweispapiere gefunden, sodass dies keine Schwierigkeit sein dürfte.«

Ich blickte zu Kati. Sie saß mit Pokerface neben ihrem Chef – ganz die kleine, harmlose Praktikantin, die kein Wässerchen trüben konnte.

Ein Mehr an Informationen gab es nicht. Die Kollegen machten Fotos, holten Statements mit Rekorder und Kameras ein und langsam löste sich die Gesellschaft auf.

Ziemlich heftige Geschichte, dachte ich. Jemandem auf einen fast weggeschossenen Kopf einen Arbeitsschutzhelm zu setzen, dazu gehörte schon einiges. Und es musste etwas bedeuten.

Ich kannte Hunze nur mit einem schwarzen Schlapphut auf dem Schädel – mit dem Helm hatte er sich nur bei Betriebsversammlungen und am Tag der Arbeit verkleidet.

Ich ging aufs Damenklo und Kati folgte mir unauffällig.

»Der Täter hat ihn auf einen Stuhl gesetzt und gefesselt«, raunte sie mir zu. »Und dann erschossen. Sieht nach einer Hinrichtung aus.«

»Und die Frauen?«, wollte ich wissen.

»Die wurden wohl vorher getötet – Genickschuss.«

»Wer sind die beiden denn nun? Brinkhoff sagte etwas von Papieren.«

»Tatjana und Rosalia Ischenko«, flüsterte sie. »Zwei Schwestern.«

»Russinnen?«

»Scheint so. Und sie sehen nicht wie Handarbeitslehrerinnen aus.«

»Sondern?«

»Wie Callgirls. Sie lebten wohl auf großem Fuß ... nach ihren Klamotten und dem Schmuck zu urteilen.«

»Und wie kommen die in ein DGB-Büro?«

»Keine Ahnung«, sagte Kati und senkte ihre Stimme noch weiter ab, denn eine Frau kam durch die Tür. »Vielleicht wollten sie nur eine tarifrechtliche Beratung.«

Wir stellten das Reden ein, wuschen uns die Hände und verließen den Waschraum kurz nacheinander.

Im Büro angekommen, erstattete ich Peter Jansen kurz Bericht. Er hatte sich inzwischen um die Fotos gekümmert, die ich mit meiner Notkamera geknipst hatte, und sie waren gar nicht so schlecht geworden. Schließlich konnte man digitale Bilder mit der entsprechenden Software etwas manipulieren, ihnen mehr oder weniger Farbe und Konturen verleihen, bestimmte Ausschnitte vergrößern und so weiter. Drei Fotos waren brauchbar: die Halbtotale vom DGB-Haus, die Naheinstellung vom Fenster, hinter dem sich alles abgespielt hatte, und natürlich das übliche Sargbild – mit den Polizisten und einigen Schaulustigen.

Ich hatte hundert Zeilen auf der Eins zu füllen.

Mord im DGB-Haus: Ansgar Hunze und zwei Frauen brutal ermordet – so die Überschrift.

 

Ein brutaler Mord an drei Menschen erschüttert die Stadt: DGB-Chef Ansgar Hunze ist tot! Er wurde am Morgen erschossen in seinem Büro gefunden – an einen Stuhl gefesselt. Und der Mörder hat noch zwei weitere Menschen getötet: Die Polizei fand die Leichen von zwei jungen Frauen – ebenfalls erschossen. Ob die Frauen zufällig Opfer wurden, weiß niemand. Es scheint so, dass der Täter es hauptsächlich auf Hunze abgesehen hatte, denn er setzte dem Toten wie zum Hohn einen Arbeitsschutzhelm der IG Metall auf den Kopf.