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Impressum

Der Autor

Zitat

Danksagung

ERSTES KAPITEL

ZWEITES KAPITEL

DRITTES KAPITEL

VIERTES KAPITEL

FÜNFTES KAPITEL

SECHSTES KAPITEL

SIEBTES KAPITEL

ACHTES KAPITEL

NEUNTES KAPITEL

ZEHNTES KAPITEL

ELFTES KAPITEL

ZWÖLFTES KAPITEL

 

Jacques Berndorf

 

 

Eifel-Müll

 

 

Kriminalroman

 

 

 

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Originalausgabe © 2000 by GRAFIT Verlag GmbH

E-Book © 2014 by GRAFIT Verlag GmbH

Chemnitzer Str. 31, D-44139 Dortmund

Internet: http://www.grafit.de

E-Mail: info@grafit.de

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlagillustration: Peter Bucker

eISBN 978-3-89425-829-0

Jacques Berndorf – Pseudonym des Journalisten Michael Preute – wurde 1936 in Duisburg geboren und lebt heute in der Eifel. Er war viele Jahre als Journalist tätig, arbeitete unter anderem für den stern und den Spiegel, bis er sich ganz dem Krimischreiben widmete.

Seine Siggi-Baumeister-Geschichten haben Kultstatus, im Grafit Verlag sind erschienen: Eifel-Blues, Eifel-Gold, Eifel-Filz, Eifel-Schnee, Eifel-Feuer, Eifel-Rallye, Eifel-Jagd, Eifel-Sturm, Eifel-Müll, Eifel-Wasser, Eifel-Liebe, Eifel-Träume und Eifel-Kreuz.

 

Bei der Festlegung der Preise darf sich das Übel der Habgier nicht einschleichen. Man verkaufe sogar immer etwas billiger, als es sonst außerhalb des Klosters möglich ist, damit in allem Gott verherrlicht werde.

 

Benediktregel, Kap. 57

Ich habe vielen Leuten Dank zu sagen, vor allem Christa und Wolfgang Menzel, die mir höchst wertvolle Einsichten in den Alltag von Polizisten vermittelten.

Dank an die vielen Menschen beiderlei Geschlechts, die bereit waren, mich über die dubiosen Praktiken im Müll-Geschäft zu informieren und deren Namen ich aus leicht ersichtlichen Gründen nicht nennen kann.

Und Dank auch an Ulrike Sokul für ihr Gedicht Vielleicht vielschwer.

 

Für Geli.

 

J. B. im Sommer 2000

ERSTES KAPITEL

 

Jedes Mal, wenn die kleine Britney Spears mit ganz verruchter Gauloises-Stimme I can’t get no satisfaction singt, habe ich das Gefühl, mein Eisfach versuche mir klarzumachen, dass es mich hemmungslos liebt.

Also, Britney röhrte durch mein Haus, draußen herrschten blauer Himmel und Schäfchenwölkchen. Ein paar wild gewordene NATO-Krieger spielten in ihren Jets Fangen und mühten sich, die vorgeschriebene Höhe von mindestens dreihundert Metern zu unterschreiten, weil das so schön kreischt.

Pfarrer Eich rollte in seinem dunkelblauen Ford vor dem Haus vorbei und grüßte in mein Arbeitszimmer. Er ist meines Wissens der einzige katholische Geistliche in der Eifel, der es fertig bringt, auf eine viel befahrene Kreuzung zu gleiten und dabei nach allen Seiten zu winken, ohne zu bemerken, dass die andere Seite Vorfahrt hat. Er ist eben liebenswert und hat den Vorteil des Bodenpersonals, dem stets ein Engel auf der Schulter hockt, der sanft bremst.

Es war Juni, der Ginster blühte noch, die Eifel explodierte in Grün – streng nach internationalen Regeln: Irland hat vierzig Sorten Grün, die Eifel fünfzig und Indien tausend. Gisbert Haefs hat das bei der Recherche für seinen Roman Raja herausgefunden, seitdem sagen die Eifler: Wir sind weltweit an zweiter Stelle. Dabei grinsen sie diabolisch.

Ich war von Herzen glücklich, was damit zu tun hatte, dass ich allein im Haus war und mir schon nur die Möglichkeit einer unbegrenzten freien Ausdehnung ein massiv zärtliches Gefühl im Bauch bereitete – obwohl es schwierig ist, zwei Lokusse gleichzeitig zu besetzen. Immerhin konnte ich mich rasieren und zwischendurch mit Schaum im Gesicht schnell einmal am Billardtisch versuchen, einen Stoß über drei Banden hinzubekommen. In solchen Situationen gewinne ich grundsätzlich.

Das Leben war klar, fast durchsichtig heiter. Ich dachte pausenlos positiv und hätte in diesem Zustand vermutlich sogar ein Interview mit dem Papst in Rom durchgestanden, ohne auffällig zu werden. Meine Seele spielte unaufhörlich einen langsamen Walzer mit etwa siebenundvierzig Streichern und sechs fantastisch schönen Frauen an goldglänzenden Harfen. Das war morgens gegen elf Uhr.

Irgendwo im Haus jaulte der junge Hund Cisco erbärmlich. Er war jetzt etwa anderthalb Jahre alt und das Versprechen, es handle sich um einen Schäferhund, hatte Mama Natur nicht eingehalten. Nach allgemeiner Ansicht war Cisco eine Mischung aus Schäferhund, Spitz, Dackel, Boxer und einem Eifler Vorstehhund der Marke 1870. Er hatte merkwürdig lange, leicht gekrümmte Beine, einen Ringelschwanz wie ein Ferkel und Augen wie ein Labrador: eisgrau. Er war ein eindrucksvolles Stück Gemüt und wir liebten uns intensiv.

Wenn er jetzt jaulte, hieß das nicht, dass er verzweifelt um sein Leben bettelte. Er bettelte vielmehr, dass der Hausherr kommen möge, ihn zu kraulen. Gehorsam latschte der Hausherr die Treppen hoch und fand Cisco im Dachgeschoss auf seiner Wolldecke liegend, Bauch nach oben, Läufe anmutig angewinkelt, Schnauze zur Seite, Augen geschlossen. Ich hockte mich neben ihn, murmelte »Guten Tag« und kraulte wie befohlen. Er seufzte aus tiefster Seele und schlief wieder ein. Vor etwa dreizehn Uhr war mein Cisco nicht lebensfähig.

Ich ging in den Garten, um am Teich ein paar Züge zu rauchen und mir zu überlegen, ob ich auf Willis Grab einen besonders schönen Stein legen sollte. Willi, mein Kater, hatte unlängst das Zeitliche gesegnet, war einfach im hohen Gras umgefallen wie jemand, der todmüde ist. Infarkt bei Katzen gibt es, hatte mir jemand lakonisch erklärt. Ich hatte Willi unter dem Apfelbaum begraben, der in diesem Jahr die ersten Blüten angesetzt hatte.

Die Kater Paul und Satchmo waren mir geblieben. Die beiden lagen dicht an der Efeuhecke, Arsch in der Sonne, Kopf im kühlen, schattigen Gras. Edelrentner gewissermaßen, die träge durch den Tag taumelten und nicht einmal nach der Fliege schlugen, die ihnen auf der Nase tanzte.

Die Amseln, die hoch unter meinem Dach, am Fuß des Sattels einen sicheren Platz für ihr Nest gefunden hatten, führten ihre zwei Jungen ins Freie, um ihnen beizubringen, wie Amseln überleben. Sie machten einen Heidenlärm, weil sie so aufgeregt waren, und im Geiste hörte ich die Mutter streng tschilpen: »Ich habe gesagt: Vorsicht! Vorsicht habe ich gesagt!«

Gegen zwölf Uhr etwa setzte mein positives Denken aus, denn mich erreichten in kurzen Abständen drei Anrufe. Der erste kam von der Bank. Ein durchaus freundlicher Mensch teilte mir mit, ich müsste gelegentlich etwas für mein Konto tun, weil man sich sonst außerstande sähe, mich weiter mit Bargeld zu versorgen.

Der zweite Anrufer war eine Frau. Sie sagte etwas atemlos, ohne ihren Namen zu nennen oder sich sonst wie kenntlich zu machen: »Darf ich dir heute Abend auf den Geist gehen?«

Sicherheitshalber fragte ich: »Kennen wir uns irgendwie?«

»Irgendwie schon«, behauptete sie. »Ich bin Vera und du hast behauptet, eine zweite Vera kennst du nicht.«

»Vera«, murmelte ich. »Was ist los?«

»Nichts Besonderes«, antwortete sie tonlos. »Ich bin nur beurlaubt worden, praktisch bin ich nun arbeitslos.«

»Du bist doch Kriminalbeamtin«, widersprach ich matt.

»Das ist richtig. Aber beurlaubt wurde ich trotzdem.«

»Und warum?«

»Wenn ich dir das sage, glaubst du es nicht.«

»Versuch es doch einmal«, schlug ich vor.

»Ich habe mit einem Mörder geschlafen«, sagte sie, geriet aus der Fassung und begann zu schluchzen.

»Du hast was?«

»Ich habe mit einem Mörder geschlafen!« Jetzt schrie sie.

Auf derartige Aussagen fällt mir nie etwas Intelligentes ein. »O Gott! Wo bist du denn?«

»In Mainz, in meiner Wohnung. Mir fällt die Decke auf den Kopf. Ich will ja nicht … O Scheiße, Baumeister, vergiss es.«

»Nein, nein«, sagte ich hastig. »Komm her! Setz dich in dein Auto und komm her.«

»Ich habe kein Auto mehr.«

»Wieso?«

»Das hat der Mörder genommen und ist damit gegen einen Baum gefahren.«

»Kannst du dir kein Auto pumpen?«

»Das könnte ich«, sagte sie nach einer Weile. »Eine Kusine von mir arbeitet in der Nähe, die könnte ich fragen. Ich störe dich wirklich nicht?«

»Nein. Lass uns reden. Komm her!«

Ich hatte kaum die Leitung freigegeben, als es wieder klingelte. Ich dachte automatisch, es wäre noch mal Vera, aber es war ein Mann. Mit unnatürlich hoher, heiserer Stimme fragte er: »Spreche ich mit Siggi Baumeister?«

»Ja«, antwortete ich brav.

»Kennen Sie Mannebach?«

»Den Ort oder den Mann?«

»Den Ort. Rechts neben der B 410, zwischen Kelberg  und Mayen. Fahren Sie dorthin.«

»Und was soll ich da?«

»Das werden Sie dann schon sehen.« Es klang so, als habe er das Ende seiner Botschaft erreicht.

»Moment mal«, ich wurde hastig, »ich kann doch nicht nach Mannebach segeln, nur weil Sie glauben, das könnte interessant sein.«

Eine Weile herrschte Ruhe.

»Es ist sehr interessant«, behauptete er dann mit Überzeugung. »Auf einem Feldweg linker Hand steht ein Streifenwagen und Normalsterbliche dürfen da gar nicht hin. Da liegt nämlich eine tote Frau mit einem Loch im Kopf.« Er machte eine Pause und setzte dann arrogant hinzu: »Ist das interessant genug, Euer Ehren?« Eine Sekunde später hatte er eingehängt.

Eines war sicher: An diese Stimme würde ich mich erinnern – für den Fall, dass er mich verulken wollte. Eine fiese Stimme, von der ich den Eindruck hatte, ich würde den Inhaber auf keinen Fall mögen.

Ich machte die Haustür auf und pfiff, so grell ich konnte. Cisco fegte die Treppen herunter, als ginge es um sein Leben. Er rannte an mir vorbei und hockte sich neben das Auto. Das hieß: Niemand verlässt das Haus – außer uns.

Ein Gewitter lag in der Luft, vom Süden her hatten sich gewaltige Wolkentürme in den Himmel geschoben, wunderbare Weiß- und Grautöne, gerahmt von einem satten Eifelblau.

»Ich möchte nicht, dass du gleich hysterisch wirst, wenn es kracht«, belehrte ich meinen Hund.

Er hockte auf der hinteren Sitzbank, legte den Kopf schräg, das linke Ohr hing herab wie ein nasser Waschlappen, das rechte stand steil in Habt-Acht-Stellung. Er antwortete nicht, er antwortet selten – braucht er auch nicht, bei den Augen.

Ich fuhr sehr schnell und hatte auf der B 410 neben dem Gewerbegebiet etwa 160 km/h drauf, was keiner Sache förderlich ist.

»Angeblich gibt es eine Leiche«, informierte ich meinen Hund. »Angeblich weiblich, angeblich mit einem Loch im Kopf. Und angeblich steht da ein Streifenwagen. Damit wir nicht aus der Übung kommen.«

Auf der Höhe von Boxberg legte das Gewitter los. Es knallte recht ordentlich, der Regen kam wie aus Eimern, der Himmel war in Sekunden schwarz. Mein Hund war längst mit der Geschwindigkeit einer Rakete von der Rückbank geschossen und steckte den Kopf unter meinen Sitz. Es war unglaublich, wie platt er sich machen konnte, wenn ihn Furcht erfüllte. Ab und zu wimmerte er leise und ich sprach ihm Mut zu und versicherte, gleich sei alles vorbei und die Sonne nehme wieder ihren Platz ein, und wenn er ein tapferer kleiner Hund sei, würde ich ihm glatt hundert Gramm Gehacktes schenken und obendrein ein Puddingteilchen.

Ich fuhr durch Kelberg, der Regen ließ nach, mein Hund tauchte wieder auf, die Ampel zeigte Grün und ich querte die Schnellstraße zum Nürburgring. Es ging durch das Gewerbegebiet, dann auf die lange, langsam steigende schnelle Gerade nach Hünerbach. Nun hatte ich zwei Möglichkeiten: die erste Abfahrt Richtung Bereborn und Retterath nach rechts oder die zweite Abfahrt direkt nach Mannebach.

Ich nahm die zweite und tauchte in eine sanfte hügelige Landschaft mit Viehweiden und großen Wäldern. Mannebach und Bereborn liegen genau wie Retterath in weiten Senken und sind noch heute Paradebeispiele für heimelige Dörfer, die wie Spielzeug mit der Landschaft verschmelzen, uralte Siedlungen, deren Geschichte über viele Jahrhunderte ungeschrieben bleibt, weil zu wenig Zeugnisse vorhanden sind. Aber sie hatten Spuren hinterlassen. Überall gab es die Familiennamen Mannebach, Retterath und Bereborn oder Berborn, an der Mosel wie in Luxemburg, in Köln wie in Koblenz und Aachen.

Ich fuhr nun langsamer. Linker Hand steht ein Streifenwagen, hatte der Mann gesagt. Ich konnte Mannebach schon erkennen, sah auch rechts schon das große Holzkreuz auf einem Wiesenhügel. Da war der Streifenwagen. Er funkelte in der Sonne, vielleicht hundert Meter von der schmalen Landstraße entfernt vor dem Dunkel eines prächtigen Hochwaldes.

»Du bleibst im Wagen«, beschied ich meinem Hund. Die Vorstellung, dass er an einer toten Frau herumschnüffelte, machte mich etwas unsicher.

Ich wollte in den Feldweg einbiegen, stoppte aber, weil die Polizeibeamten den Weg mit einer rot-weißen Plastikstrippe abgesperrt hatten. Also parkte ich vor dem Band, nahm die IXUS aus dem Handschuhfach, schloss den Wagen ab und marschierte gemächlich los, während mir Cisco todunglücklich nachstarrte.

Einer der beiden Streifenbeamten kam mir entgegen, ein bulliger, untersetzter Kerl mit einem Kaiser-Wilhelm-Schnäuzer. Als ich ihm ins Gesicht schaute, wusste ich: Ich habe ein Problem.

»Sie können hier nicht durchgehen«, sagte er ohne jede Betonung und setzte hinzu: »Tut mir leid.«

»Durchgehen wollte ich auch nicht«, erklärte ich freundlich. »Jemand hat mich angerufen und mir erzählt, hier liegt eine Frau mit einem Loch im Kopf.«

Nun hatte er ein Problem. »Wer war denn das?«, fragte er sachlich.

»Das weiß ich nicht. Der Mann hatte eine relativ hohe, heisere Stimme, nannte keinen Namen, sagte nur, ich solle hierherfahren, und legte dann auf.« Ich machte eine Pause von zwei Sekunden. »Ich nehme an, es war die gleiche Stimme, die euch Bescheid gegeben hat.«

Er starrte in die Luft über meinem Kopf. »Da wird man doch nachdenklich«, murmelte er. »Aber ich kann Sie wirklich nicht durchlassen.«

»Das habe ich verstanden. Ich nehme an, die Frau liegt da unten am Steilhang im Wald. Und Sie warten auf die Mordkommission.«

Er sah keine Aggression in meinen Augen und nickte: »Das ist eine blöde Situation. Das Stück Plastikband dahinten ist die einzige Absperrung, die wir machen können. Ich kann Sie unter Gefahr im Verzug buchen und Ihnen jede Annäherung verbieten.«

»Das können Sie«, stimmte ich zu.

Jetzt kam der zweite Beamte herangeschlendert. »Schwierigkeiten, Klaus?« Er war hager, drahtig, rotblond und trug eine Frisur wie eine Wichsbürste.

»Nein«, antwortete der mit dem Schnäuzer. »Ich glaube, der Mann ist ganz freundlich und höflich.«

»Das bin ich«, bestätigte ich. »Wenn ich jetzt da den Steilhang im Wald runtergehe, treffe ich da auf einen Bach oder einen Weg?«

»Auf einen Bach. Hier sind viele Quellen. Ein Weg ist da unten nicht.« Der Hagere seufzte. »Sie wollen fotografieren, nicht wahr?«

»Nicht unbedingt. Ich will die Frau nur sehen. Vielleicht kenne ich sie ja.«

»Das wäre gut möglich«, sagte der mit dem Schnäuzer. »Sie sind doch dieser Journalist aus Brück, nicht wahr?«

Ich nickte.

Der Hagere ergänzte: »Sie arbeiten immer mit Rodenstock zusammen, dem pensionierten Kripomann, oder?«

»Ja«, sagte ich. »Aber er weiß noch nichts von dieser Sache, seine Frau liegt im Krankenhaus und er kümmert sich um sie.«

»Na ja«, meinte der mit dem Schnäuzer. »Wenn Sie uns Ihren Fotoapparat geben, können Sie gucken. Geht doch, Egon, oder?«

»Geht«, nickte der Hagere.

Ich gab die IXUS ab. »Danke für die Hilfe.«

Wir spazierten gemeinsam den harten Fahrweg zwischen Wald und Wiese entlang.

»Sieht nicht gut aus«, sagte der Hagere. »Sieht sogar beschissen aus.«

»Oberbeschissen«, ergänzte der mit dem Schnäuzer. »Richtig fies. Ich frage mich, wer so was macht.«

»Die Schweine sterben nicht aus«, murmelte der Hagere. »Aber Sie dürfen nicht zu ihr runter!«

»Klare Sache«, versprach ich.

Wir gingen an ihrem Streifenwagen vorbei, das Funkgerät plärrte blechern.

»Da ist es«, zeigte der mit dem Schnäuzer. Seine Stimme klang so, als habe er keine Luft mehr. »Trampeln Sie nicht rum, kann sein, dass da Spuren sind. Der Abdruck da ist von mir, in den können Sie treten.«

Ich trat in den Abdruck seines rechten Schuhs und bewegte mich nicht mehr. Ich will erwähnen, dass ich auch nicht imstande war, mich zu bewegen, ich fühlte mich gelähmt.

Die Frau befand sich etwa sechs Meter unter mir am Steilhang zwischen den hochragenden Buchenstämmen. Sie war nackt, lag mit leicht gespreizten Beinen auf dem Rücken. Sie ruhte auf altem braunroten Buchenlaub, weshalb ihr langes brünettes Haar wie das i-Tüpfelchen in einer perfekten Bühneninszenierung wirkte. Hinzu kam, dass sie zwischen den grünen Stämmen der großen Buchen in einem Teich aus Sonnenlicht schwamm. Die Sonne drang zwischen den hohen grünen Kronen der Bäume durch und konturierte die Frauenfigur, hob sie scharf hervor. Die Umgebung verschwamm in einem verwirrenden Spiel aus Schatten und Licht.

Müll lag herum, alte Fässer und alte Möbelteile. Typisch für die Eifel, typisch für jede waldreiche Provinz, in der die Bewohner seit Generationen bestimmte Stellen in der Landschaft benutzen, um Dinge loszuwerden, die sie nicht mehr gebrauchen konnten.

Merkwürdigerweise nahm ich neben dem Kopf der Toten die hohen Halme eines Büschels von Nickendem Perlgras wahr. Das verwirrte mich zunächst, bis ich begriff, dass die Grashalme die einzige Bewegung in diesem brutalen Stillleben darstellten – irgendwie mahnend, unübersehbar, eine Friedhofsidylle.

Um die Stille zu durchbrechen, sagte ich: »Mein Gott, sie ist so jung!«

»Neunzehn«, erklärte der Hagere mit rauer Stimme. »Sie ist genau neunzehn Jahre alt geworden.«

Sie musste in der letzten Zeit an der Sonne gewesen sein und einen winzigen Bikini getragen haben. Die Streifen ihres Fleisches an den Brüsten und neben der Scham waren aufdringlich weiß.

»Hat er ihr …? Ist sie vergewaltigt worden?« Ich fragte das, um die Situation zu versachlichen.

»Nein«, sagte der mit dem Kaiser-Wilhelm-Schnäuzer. »Ich war unten bei ihr, ich glaube nicht.«

»Wieso reden wir eigentlich von einem Mann?«, meinte ich aggressiv.

»Eine Frau?«, bemerkte der Hagere. »Eine Frau tut so was nicht!«

»Da würde ich nicht drauf wetten«, antwortete ich.

»Eine Frau knallt einer anderen nicht mit dem Revolver einen Schuss in den Kopf.«

Das Loch in ihrem Kopf befand sich über dem linken Auge, ziemlich nah am Haaransatz. Blut war in einer dünnen Bahn über den äußeren Augenwinkel auf die Wange und dann quer zum Kinn gelaufen, ein schwarzes Rinnsal, ein Rinnsal des Todes.

»Ob sie da wohl abgelegt worden ist? Mag ja komisch sein, aber mich erinnert das an ein Menschenopfer.«

»Mich auch«, sagte der Hagere lebhaft.

Nach einer Weile meinte der mit dem Schnäuzer: »Da ist noch was. Deshalb liegt auch der Kopf so schief. Sie hat ein gebrochenes Genick.«

Ich trat zurück, um die Frau nicht dauernd anstarren zu müssen. »Das Genick? Ist es möglich, dass sie da runtergeworfen wurde und dass der Bruch daher stammt?«

»Ausgeschlossen«, sagte der mit dem Schnäuzer. »Wenn Sie da hinuntergeworfen worden wäre, hätte der Körper Bahnen im alten Laub gezogen, du verstehst schon. Außerdem müssten dann auf der Körperoberseite Spuren zu sehen sein. Blätter, Erdkrumen und so was. Da ist aber nichts. Er muss sie da runtergetragen und hingelegt haben … Warum bloß?«

»Wie aufgebahrt«, überlegte der Hagere, als spräche er mit sich selbst.

»Keine Kleidung, nichts? Keine Handtasche oder so was?«

»Nichts. Nur die nackte Person.«

»Uhr, Schmuck, Ringe, Armbänder?« Wenn ich nicht redete, dröhnte die Stille.

Der mit dem Schnäuzer schüttelte den Kopf. »Aber sie hat Ringe getragen. An beiden Händen. Deutlich zu sehen. Genauso wie eine Uhr, ein Armband und etwas um den Hals. Und dann ist da die Sache mit dem Bauchnabel.«

»Was ist mit dem Bauchnabel?«, fragte ich.

»Guck mal genau hin«, sagte er freundlich.

Ich machte also wieder zwei Schritte nach vorn. »Bauchnabel? Ach so, jetzt sehe ich es. Blut, ist das Blut?«

»Eine Wunde, nicht groß. Da hat er, also der Mörder, etwas rausgerissen. Piercing, du weißt schon.«

»Das Schwein«, sagte der Hagere. »Wann kommt endlich diese verdammte Kommission? Ich habe die Schnauze voll.«

»Die lassen sich Zeit«, antwortete sein Kollege bissig. »Die lassen sich doch immer Zeit. Leichen laufen schließlich nicht weg. Das ist denen doch egal.«

Ich dachte: Der alte Hass zwischen den Schupos und den Kriminalern, nichts ändert sich. Und die uralte Verstörung von Polizisten angesichts der nackten Brutalität. Sie sind angetreten, diesem Staat zu dienen und die Gesellschaft freundlich kontrollierend auf dem rechten Weg zu halten. Und dann stehen sie vor einer solchen Szenerie und müssen begreifen, dass ihre Arbeit nichts fruchtet, gar nichts. Verbrechen, Gnadenlosigkeit, Brutalität und Gewalt nehmen zu, nehmen überhand.

Ich trat wieder zurück auf den Weg. »Wenn ihr genau wisst, wie alt sie ist, dann wisst ihr doch auch, wer sie ist, oder?«

»Sicher«, sagte der mit dem Schnäuzer heftig. »Verdammt, so ein Leben konnte nicht gut gehen!« Er war zornig, wütend, vielleicht sogar gekränkt.

Der Hagere war eine Spur gelassener. »Das ist Natalie, wir nannten sie Nati. Ein wilder Feger …«

»Wieso das?«

»Na ja, sie nahm alles mit. Wenn ich alles sage, meine ich alles. Weiß der Geier, mit wem sie alles rumgejuckt hat und …«

»He, Junge«, unterbrach der Hagere hastig und mahnend, »Natalie liegt da, sie ist tot!«

»Ach, Scheiße, ist doch wahr. Sie nahm alles und jeden. Machen wir uns nichts vor, war doch alles Scheiße.«

»Sie war was Besonderes«, murmelte der Hagere mit leeren Augen.

»Das ist also Natalie«, sagte ich. »Und weiter?«

»Natalie Cölln«, sagte der Hagere tonlos. »Mit einem C und zwei L.«

»Woher kommt sie?«

»Aus Bongard«, antwortete der mit dem Schnäuzer. »Da lebte sie mit ihrer Mutter. Komisches Haus.«

»Das weißt du doch gar nicht genau«, wandte der Hagere mit leichter Empörung ein.

»Wenn man Natalie kannte, weiß man das«, zischte der mit dem Schnäuzer zurück. Er griff mit zitternder Hand in die Brusttasche seiner Uniformjacke und zog eine Zigarettenschachtel heraus. »Mich macht das alle, ich habe das satt.«

»Hast ja recht«, meinte der Hagere versöhnlich.

»Was war sie von Beruf?«

»Sie hat mal als Model gearbeitet. Aber nur hier in der Region. Koblenz oder Trier. Jedoch nur so zum Spielen. Taschengeld, verstehst du. Beruf? Sie hatte noch keinen Beruf. So ein Scheiß – wird umgelegt, bevor sie einen ordentlichen Beruf hat.« Der Hagere fuhrwerkte jetzt ebenfalls Zigaretten hervor und zündete sich eine an, paffte, als habe er noch nie im Leben geraucht.

Ich stopfte mir gemächlich eine Jahrespfeife von Schneidewind und zündete sie an. »Heißt das, sie ist noch zur Schule gegangen?«

»So ungefähr«, nickte der mit dem Schnäuzer. »Abitur im vorigen Jahr. Sie machte nun so eine Art Belohnungsurlaub, ein Jahr lang. Sie wollte nach Kuba, in der Tourismusbranche jobben. Hat sie jedenfalls rumerzählt. Bis dahin hat sie für ihre Mutter gearbeitet. Keine schöne Arbeit, sage ich.«

»Du weißt aber viel«, stellte der Hagere leicht erstaunt fest.

»Ja und?«, reagierte sein Kollege giftig. Dann wandte er sich an mich. »Was fällt dir eigentlich an der Leiche noch auf?«

»Muss mir, von all der Scheußlichkeit mal abgesehen, denn irgendwas auffallen?«

»Müsste«, nickte er. »Schau sie dir an.«

»Das tue ich die ganze Zeit. Was meinst du?«

»Ihre Augen«, sagte er knapp.

Jetzt bemerkte ich es. »Er … der Mörder hat ihr die Augen geschlossen.«

»Das ist komisch, nicht wahr?« Der Polizist lächelte. »Und dann noch was: Mich erstaunt, dass du gar nicht fragst, was da so alles rumliegt.«

Der Hagere ergänzte genüsslich: »Genau. Und das, wo du doch Journalist bist.«

Bauten sie mich als Gegner auf, um mit ihrem Frust fertig zu werden? Da war eindeutig Arroganz auf ihren Gesichtern. »Was wollt ihr mir verklickern? Warum macht ihr das so spannend? Ich darf nicht da runter zu ihr, habt ihr gesagt. So kann ich aber nicht genau erkennen, was da alles rumliegt. Eine wilde Kippe ist das, wie es sie in jedem Eifeldorf gibt.«

»Das schon«, sagte der mit dem Schnäuzer mit satter Befriedigung. »Aber erkennen kannst du es trotzdem. Guck mal erst auf Natalie und dann … Na ja, neben Natalie.«

»Neben ihr … neben ihr ist nichts. Altes Gelump. Was soll ich da sehen? Habt ihr ein Kondom gefunden? Wollt ihr mich verarschen? Lieber Himmel, nun lasst euch doch nicht alles aus der Nase ziehen.«

Der Hagere meinte: »Ob der Himmel mit dir ist, weiß ich nicht, aber das ist wirklich eine wilde Müllkippe.« Dann lächelte er freundlich. »Du kannst ganz ruhig sein, uns ist das auch erst später aufgefallen. Was haben wir denn da? Nun, erst mal ein altes, dunkelrotes Sofa, einen alten Couchtisch, drei alte dunkelrote Sessel, eine Stehlampe mit dunkelroter Stoffbespannung. Und dann zwölf Fässer. Genau, es sind zwölf.«

»Du musst nicht gucken wie ein Karnickel«, beruhigte mich der mit dem Schnäuzer. »Da hat jemand sein ganzes altes Wohnzimmer hingeworfen. Und zwölf Fässer. Und die Fässer sind zugeschweißt, ziemlich alt, mit Eisenringen, aber die blaue Lackierung ist frisch. Kein Aufdruck, keine Einprägung. So, wie Natalie da liegt, siehst du das alles nicht, weil du eben nur Natalie siehst. Aber es gibt große Unterschiede zwischen wilden Kippen, nicht wahr? Und weil du ein kluger Journalist bist, erwarte ich jetzt die einzig logische Frage.« Er lächelte so süffisant, dass er plötzlich ein Ohrfeigengesicht hatte.

»Du bist ein guter Beobachter«, dachte ich laut nach. »Du warst unten neben der Leiche und damit neben den Fässern und den alten verschlissenen Möbeln. Die Möbel und die Fässer liegen zu beiden Seiten der Leiche jeweils vielleicht zwei Meter entfernt. Okay? – Heiliges Kanonenrohr, jetzt weiß ich, was ihr meint!« Ganz unwillkürlich stöhnte ich verblüfft. »Das ist eine neue wilde Kippe, eine ganz neue! Kann sein, dass das alles zusammen abgeladen wurde. Natalie, das alte Wohnzimmer, die Fässer. Und außerdem sehe ich jetzt auch, dass an den Fässern und den Möbeln kein Laub klebt. Alles ist frisch in den Wald geworfen worden. Weil ich also ein kluger Journalist bin, frage ich: In welcher Reihenfolge landeten die Dinge dort unten unter uns?«

»Der Kandidat hat einhundert Punkte und gewinnt ein Wasserschloss am Niederrhein«, sagte der Hagere ehrlich erfreut. »Nicht schlecht, wirklich nicht schlecht.«

»Die Frage war gut«, nickte der mit dem Schnäuzer langsam und starrte auf den Boden vor seinen Schuhen. Er sprach jetzt ganz leise. »Ich bin ja nicht die Mordkommission und von Spurensuche und Analyse und so habe ich als einfacher Polizist null Ahnung. Aber weil ich einen Onkel habe, der oben im Kylltal eine Jagd hat, und weil der mir so was mal beigebracht hat, behaupte ich Folgendes: Als Erstes wurde das Wohnzimmer in den Wald geschmissen. Dann die Fässer und zuletzt Natalie. Die Fässer sind so weit oben am Hang liegen geblieben, weil sie gleichzeitig abgekippt worden sind, wahrscheinlich von einem Lkw mit einer Hebehydraulik. Ein Fass behinderte das andere und sie wurden von den Baumstämmen aufgehalten, so dass sie nicht weit rollen konnten. Können Sie folgen, junger Mann?«

»Sauberer Vortrag, saubere Gehirnleistung.«

»Kein altes Laub auf den Fässern, nichts auf den Möbeln, kein altes Laub auf Nati. Das alles ist gleichzeitig hier entsorgt worden oder höchstens im Abstand von ein paar Stunden. Ein paar Fässer sind gegen die Buchen geknallt, man sieht noch deutlich die Spuren des Aufpralls und Risse in der Baumrinde.«

»Du solltest in die Mordkommission wechseln«, lobte ich.

»Kein Interesse«, antwortete er heftig und schnell.

Es war ruhig. Von ganz weit her hörten wir meinen Hund jaulen, wahrscheinlich fühlte er sich elend einsam und hatte sich schon im Wagen verewigt, weil ich ihn so schnöde im Stich gelassen hatte.

»Könnt ihr mich denn jetzt noch darüber aufklären, was es mit dem Haus in Bongard auf sich hat? Wieso ist das ein ›komisches‹ Haus?«

Der Hagere sagte energisch: »Das musst du schon selbst herausfinden.« Es war ihnen eingebrannt worden, keinerlei Details – von was auch immer – an die Presse zu geben. Und schon gar nicht Meinungen öffentlich zu äußern.

»Du hast doch schon oft Tote gesehen«, wandte ich mich an den Schnauzbärtigen, ich wollte nicht mehr auf dem Haus herumhacken. »Wie lange liegt Nati hier?«

»Ich schätze seit vergangener Nacht«, antwortete er.

Der Hagere schaute auf die Uhr und zündete sich eine neue Zigarette an. »Hast du Kaffee bei dir? Nein, wohl nicht. Ich schlafe gleich im Stehen ein.«

»War irgendwo Kirmes, dass ihr so kaputt seid?«

Der Hagere schüttelte den Kopf. »Das ist die zweite Schicht ohne Pause, wir sitzen seit gestern Nachmittag in der Karre. Keine Minute Schlaf.«

»Wie kann denn das?«

Der mit dem Schnäuzer erklärte: »Das Übliche. Personalmangel.« Sein Gesicht war verschlossen.

»Nun sag es schon«, schlug der Hagere vor. »Er erfährt es doch sowieso.« Er räusperte sich. »Es ist so, dass Nati die zweite Leiche in unserer Schicht ist.«

»Wie bitte?« Ich sah den Schnäuzer an. »Heißt das, dass noch jemand ermordet worden ist?«

»Das wohl nicht«, war die Antwort. »Ein junger Mann hat sich totgefahren. Sven Hardbeck. Genauso alt wie Nati. Kennst du die schmale Straße von Darscheid nach Steiningen? Die führt unter der A 48 Koblenz–Trier her. Da ist Sven mit seinem Golf gegen die Brückenwand geknallt … Er hat nicht gebremst, keinen Zentimeter gebremst. Dabei hat er schon mal Rallyes gefahren und eigentlich … Vielleicht war er betrunken. Gerochen haben wir aber nichts.«

»Ist das der Hardbeck von dem Hardbeck? Von diesem Müllunternehmer?«

»Richtig«, nickte der Hagere müde. »Das ist das, was die Leute nicht wissen: Wir sind die, die zu den Eltern müssen, um ihnen zu sagen … Svens Eltern sind durchgedreht, richtig durchgeknallt.« Er warf beide Arme nach vorne. »Sven war ihr einziger Sohn, muss man wissen, ihr … Na ja, wir haben ihn immer den Kronprinzen genannt. Die Mutter rannte dauernd die Treppe rauf und runter, einfach so, rauf und runter. Und der Vater saß im Wohnzimmer in einem Ledersessel, sprang plötzlich wie von der Biene gestochen auf, nahm einen Aschenbecher und knallte ihn durch die Fensterscheibe in den Garten. Anschließend schrie er dauernd ›Nein!‹ und mischte das Wohnzimmer auf. Wir haben ihn nicht aufgehalten, wir wissen, wie das ist. Er hat nichts heil gelassen … Als wir bei denen ankamen, war es drei Uhr nachts, als wir wegfuhren, war es sechs Uhr. Mein Gott, es war wirklich schlimm. Als wir den Bericht dann irgendwann geschrieben hatten und Schluss machen wollten, kam der Chef und sagte: ›Ihr müsst noch mal raus, es gibt eine Leiche.‹ Deshalb sind wir so im Arsch.«

»Und Sven Hardbeck hatte gerade einen Job gekriegt, einen wirklich guten Job. Er wollte nach dem Abi was Nützliches machen.« Der Schnauzbärtige wischte sich mit einem Papiertaschentuch durch das Gesicht. »In Südamerika gibt es doch so Hilfsprojekte, landwirtschaftliche und soziale. Und Sven hat dort über das katholische Bistum Trier eine Zivildienststelle gekriegt. In zwei Monaten sollte er antreten, in Peru, glaube ich. – Scheiße, dieser Beruf.«

»Das ist immer noch nicht alles«, sagte der Hagere hohl. »Denn Sven hatte was mit Nati. Die beiden waren zusammen bei uns im Dorf beim Junggesellenfest und haben geknutscht, als wären sie Adam und Eva.«

»Waren sie denn in der gleichen Abiklasse?«

»Ja!«, seufzte der Schnauzbärtige. »So war das. Du kannst dir an zwei Fingern ausrechnen, was das bedeutet: Sven tot, dann Nati tot. Oder halt, nein, eigentlich andersrum. Erst Nati tot, dann Sven tot.«

Die beiden Polizisten standen nebeneinander und schauten mich an, als wollten sie sagen: Los doch, du weißt doch jetzt, was du wissen musst!

Ein sanfter Wind strich durch die Baumwipfel und bog die Gräser am Weg. Erneut war Ciscos Jaulen von weit her zu hören. Ich sah in die beiden Gesichter und begriff eine Winzigkeit mehr, wie Polizisten denken. Zugleich begriff ich aber auch ihre Unsicherheit. Sie wussten von den kleinen Begebenheiten ihres eigenen Alltags, dass diese beiden Toten eine Liebesgeschichte miteinander gehabt hatten. Und sie hatten verstanden, dass diese junge Frau sehr schön gewesen war und dass Schönheit dieser Art auch immer massive Unwägbarkeiten mit sich brachte – vornehmlich für den, der sie liebte. So schlossen sie: Es hatte zwischen den Liebenden Krieg gegeben. Sven drohte der Verlust dieser Frau. Und er tötete sie, weil er das nicht ertragen konnte. Und weil er auch die Tötung nicht ertragen konnte, entschloss er sich, ebenfalls zu sterben.

Dieser mögliche Ablauf der Geschichte verunsicherte die beiden Polizisten, denn im Grunde ihrer Wesen sehnten sie sich wie jeder andere nach positiven Gefühlen und einer harmonischen Form von Zusammengehörigkeit und Zweisamkeit – zugleich konnten sie der grausamen Brutalität nicht ausweichen. Sie wollten nicht eintauchen in so eine brutale Welt, aber genau das war ihre Pflicht als Polizeibeamte.

»BILD würde titeln ›Drama unter Abiturienten‹. – Dieser Sven saß allein im Auto?« Ich hatte einen trockenen Mund.

»Ja.« Der Hagere rieb sich die Augen. »Nicht mehr viel von ihm übrig, würde ich sagen.«

»Wenn Sven Natalie getötet hat, dann muss er eine Waffe gehabt haben«, bemerkte ich.

»Hatte er«, wusste der mit dem Schnäuzer. »Zumindest hatte er Zugang zu Waffen. Der Vater ist Jäger. Nach der Wunde in Natis Kopf zu urteilen, könnte es eine Walther PPK gewesen sein. Gängiges Kaliber 7.65.«

»Aufgesetzt?«

»Fast. Es sind Schmauchspuren da. Schwach, aber erkennbar. Der Schuss kam vielleicht aus acht bis zehn Zentimetern Entfernung.«

»Du solltest wirklich zur Mordkommission gehen. – Ich mache mich jetzt vom Acker. Keine Sorge, ich informiere niemanden, keine Kollegin, keinen Kollegen. Darf ich euch anrufen, falls ich noch was wissen möchte?«

Sie nickten.

Ich sah die Ränder unter ihren Augen und die Erschöpfung in den tiefen Linien um ihre Münder. Wenn die Mordkommission erschien, würden sie sicherlich noch einmal zwei bis drei Stunden hart arbeiten müssen. Verhöre unter Polizisten sind ekelhaft, genau und sehr brutal.

Ich warf einen letzten Blick auf Natalie und machte mich dann auf den Weg.

Ich trödelte zurück und mein Wagen war ein ärgerliches Hindernis für alle Lkws. Als ein Bauer mit einer Fuhre Futtergras vor mir war, blieb ich hinter dem tuckernden Traktor, starrte in die sonnendurchflutete Landschaft und hing meinen Gedanken nach.

Hatte dieser Sven Natalie getötet? Hingerichtet? War dann ziellos durch die Landschaft gerast und hatte sich entschlossen, selbst zu sterben, Schluss zu machen? Dann musste er es gewesen sein, der ihr ein Kettchen, einen Ring, einen Brillanten oder was auch immer geschenkt hatte, das sie im Bauchnabel trug. Nun gut, warum nicht? War Sven eifersüchtig? Bei schönen Frauen ist immer Eifersucht im Spiel. Gab es einen dritten Mann, einen heimlichen Mann? Traf sie ihn dort, wo sie gefunden worden war? Der schnauzbärtige Polizist war zornig gewesen, hatte so etwas wie öffentliche Moral gespielt, Natalie einen wilden Feger genannt. Hatte es zu viele Männer in ihrem Leben gegeben? Hatte sie die Kontrolle verloren? Oder – ganz anders gedacht – war sie Zeugin von etwas gewesen? Beispielsweise von etwas, was die geheimnisvollen Fässer betraf?

Eines war gewiss: Wenn Sven vor Natalie gestorben war, stellte sich ein schwieriges Rätsel; war er nach ihr gestorben, schien das Rätsel lösbar. Zunächst waren also die Gerichtsmediziner gefragt, die die traurigen Reste untersuchen mussten, um Klarheit zu gewinnen.

Cisco hatte nicht in den Wagen gepinkelt, ich lobte ihn und ließ ihn in der Einmündung eines Waldweges kurz vor meinem Dorf eine Weile laufen. Dann fuhren wir heim und er suchte sich dabei auf dem Beifahrersitz eine Position, in der sein Kopf auf meinem Oberschenkel liegen konnte.

Am Teich war alles in Ordnung, die dicke Kröte namens Isabell hatte den Weg aus dem Steintunnel gefunden, den ich ihr gebaut hatte, hockte im Schlamm und ließ nur den Kopf sehen. Sie war eine gemütliche alte Tante, nur wenn ihr einer der extrem räuberischen Koikarpfen zu nahe kam, blies sie sich auf wie ein Luftballon und ließ zischende Laute hören. Aus der Tatsache, dass sie nun schon das zweite Jahr hier war, ließ sich schließen, dass sie keine natürlichen Feinde hatte – Störche landen bei mir nicht.

Ich ging ins Haus, draußen war es zwischen den Schauern und Gewittern einfach zu schwül. Bald würde Vera eintreffen. Mir war leicht übel, wobei ich aus alter Erfahrung wusste, dass das etwas damit zu tun hatte, dass ich den Tag über nichts gegessen hatte. Ich entschloss mich zu Spiegeleiern à la Gloria Gaynor. Ich denke, das muss ich erklären.

Es gibt eine ›Club-House‹-Ausgabe von Gaynor-Songs, auf der auch How high the moon zu finden ist. Das Fett in der Pfanne muss bei den ersten Takten heiß sein, dann werden die Eier aufgeschlagen und exakt bis zum Ende des Songs gebraten. So erhalten sie jene Konsistenz, die ich bevorzuge. Gloria Gaynor kennt diesen Trick natürlich nicht, sie kommt ja auch so selten in die Eifel.

Mein Handy klingelte und ich musste es suchen. Reinhard Hübsch vom SWR 1 war dran und sagte leichthin: »Es betrifft nicht mein Ressort, werter Kollege, aber die Spatzen pfeifen es mir. Stimmt es, dass bei dir in der Nähe zwei Jugendliche zu Tode gekommen sind?«

»Das stimmt. Wie hieß denn der Spatz, der es Ihnen gepfiffen hat?«

»Informanten sind namenlos«, erklärte er heiter. »Die aktuelle Redaktion ist schon unterwegs. Die Kollegen vom Fernsehen übrigens auch. Ich wünsche einen guten Resttag.«

Der nächste Anrufer war Kalle Adamek von Radio RPR. Er begann: »Hallo, Alter. Ich habe die Geschichte schon, ich will nur fragen, was du davon hältst.«

»Das weiß ich noch nicht. Das Mädchen Natalie wurde umgebracht. Es war eine Art Hinrichtung. Genick gebrochen und Kopfschuss, doppelt gemoppelt sozusagen. Sven Hardbeck knallte mit seinem Golf gegen Beton. Das kann Selbstmord gewesen sein, muss aber nicht. Hast du andere Informationen?«

»Nein. Aber wenn das das Ende einer Liebe war, dann ist das eine Riesengeschichte. Und wahrscheinlich gibt es dann einen dritten Mann, der die ganze Geschichte kennt.«

»Da könntest du recht haben.«

»Kannst du mir den Tatort beschreiben? Diesen Fundort der Toten?«

»Ich glaube, das ist tatsächlich nur der Fundort. Natalie wurde dorthin gebracht, ordentlich hingelegt.« Ich beschrieb ihm, wie die wilde Müllkippe in Mannebach aussah, und er bedankte sich, stellte aber noch eine Frage.

»Die beiden haben doch zusammen Abitur gemacht. Im vorigen Sommer. Und ich weiß, dass es an dem Gymnasium einen Pauker gibt, der besonders gut mit den Jugendlichen umgehen kann. Ich habe den schon mal interviewt, der tritt immer als Spezialist für Jugendfragen auf, komme aber nicht auf seinen Namen. Weißt du, wen ich meine?«

»Ach, stimmt. Das ist der Oberstudienrat Detlev Fiedler.«

»Richtig, so war der Name. Mach es gut, mein Alter, bis demnächst.«

Was würde mein alter Freund Rodenstock mir nun raten, was zu tun sei? Ich dachte angestrengt darüber nach. Zuerst einmal würde er klarstellen: Es gibt keine Mörder, es gibt nur Menschen, die zu Mördern werden. Dann vielleicht mahnen: Geh immer zurück an den Anfang. Was weißt du? Was weißt du wirklich, was steht außer Frage? – Also gut: Natalie (19) tot, zweifelsfrei ermordet. Die Leiche nackt. Ein Schmuckstück aus dem Bauchnabel gerissen. Brutal. Liebesgeschichte. Liebesgeschichte? Wissen wir nicht. Sven (19), Mitschüler, Mit-Abiturient, rast gegen eine Betonwand. Tot. War das vor oder nach Natalies Tod? Wissen wir nicht. Was musst du unter diesen Umständen als Erstes in Erfahrung bringen? Antworten finden auf eine Frage, die ich beiden stellen würde: Wann hast du dein elterliches Haus verlassen und was hast du den Tag über getrieben? Eine simple Frage.

Geh zurück zum Anfang, pflegte Rodenstock zu sagen. Und sei niemals ungeduldig. Aber ich war ungeduldig. Rodenstock, du könntest dich längst gemeldet haben! Sonst meldest du dich dauernd, wieso …? Ich kam mir plötzlich schäbig vor.

Ich wählte seine Handynummer.

Er meldete sich sofort, düster und hohl: »Ja, bitte?«

»Ich bin’s, Siggi. Wie geht es Emma?«

»Nicht gut. Sie schläft. Ich hocke hier an ihrem Bett in diesem fürchterlichen Krankenhaus, in dem alle Bediensteten ständig den Eindruck zu machen versuchen, sie hätten alles im Griff. Warte mal, ich gehe auf den Flur.« Es gab irgendwelche Geräusche, dann sagte er: »Jetzt können wir reden. Sie haben ihre Bauchspeicheldrüse in Verdacht. Die Ärzte sagen mit Falten im Gesicht: Da stimmt was nicht. Sie haben eine Biopsie gemacht, Entnahme von Lebendgewebe, du weißt schon. Es ist dieser ganze Kokolores, der dem Patienten Angst macht, nichts als Angst.«

»Es besteht also Krebsverdacht?«

»Ja«, bestätigte er. »Emma wird … sie wird immer weniger. Scheiße, ich kann nichts machen.« Plötzlich weinte er unverhohlen, schnäuzte sich laut wie eine Trompete. »Und ich muss ihr gegenüber auch noch immer so tun, als hätte sie nicht mehr als einen quersitzenden Furz.«

»Das musst du nicht. Sie ist doch eine kluge Frau.«

»Genau das ist ihr Problem, genau das.«

»Wie lange wird es dauern, bis man sicher weiß, was ist?«

»Drei Tage. Aber sie muss nicht so lange hier bleiben. Sie kann nach Hause und dort warten. Baumeister, ich weiß nicht … wenn das schiefgeht, werde ich mich auch verabschieden. Kennst du den Brief, den Raymond Chandler an seinen englischen Verleger geschrieben hat, als seine Frau gestorben ist? Er schrieb: ›Sie war das Licht meines Lebens.‹ Das ist es! Emma ist das Licht meines Lebens. Sobald Emma wach ist, fahren wir nach Hause und warten.«

»Warten ist nicht gut«, sagte ich. Ich hatte einen Kloß im Hals, ich liebte Emma auf eine hilflose Weise. Emma, die Holländerin mit dem großen Herzen und dem scharfen Verstand, den sie noch bis vor Kurzem der Polizei in s’Hertogenbosch zur Verfügung gestellt hatte. Es war schlicht unvorstellbar, dass sie plötzlich nicht mehr da sein sollte.

»Uns bleibt nur zu warten«, stellte er fest.

»Gut, aber dann wartet doch hier. Ich habe außerdem Arbeit für euch.«

»Hat ein Eifelbauer seine Frau totgeschlagen, weil sie seine Mastgans mit dem Trecker umgenietet hat?« Er lachte böse. »Ich will, dass Emma lebt, Baumeister. Ich würde in diesem Zustand nicht mal einen Taschendieb mit meiner Geldbörse in der Hand erkennen. Nein, nein, lass uns die Sache …«

»Jetzt kommt der Heldentenor«, unterbrach ich wütend. »Von wegen: Das müssen wir ganz allein durchstehen.«

»Aber wir haben doch gar keine Kleidung und so, und …«

»Rodenstock, hör mit dem Scheiß auf! Entscheide es ganz einfach. Kommt her oder kommt nicht her. Aber halt mir um Gottes willen keinen Vortrag darüber, wie sehr du jetzt als ganzer Mann Emmas Händchen halten musst! Wenn es hupt, steht ihr vor dem Haus. Übrigens, Vera wird auch hier sein.«

Eine Weile war es still.

»Ach, Vera«, murmelte er dann. »Das Landeskriminalamt hat sie beurlaubt. Kischkewitz hat mir erzählt, sie habe was mit einem Mörder angefangen. Ich will jetzt mal wieder zu Emma gehen. Danke für deinen Anruf. Und grüß Vera schön. Sag ihr, es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird.«

»Moment, weißt du denn Näheres?«

»Der Mörder behauptet, sie habe sich ihm genähert. Nach alter guter preußischer Beamtensprache hat sie ein Beischlafbegehren geäußert und …«

»Und? Hat sie es gekriegt?«

»Frag sie doch.«

»Grüß Emma«, verabschiedete ich mich.

Ich döste vor mich hin, bis sich mein Handy wieder meldete.

Die hohe heisere Stimme war wieder da: »Meine Spione berichten mir, dass Sie die tote Frau gesehen haben. Was halten Sie davon?«

»Was soll ich davon halten? Es ist ein Mord, man wird über kurz oder lang den Täter fassen und irgendwann vor Gericht stellen.«

»Haben Sie gewusst, dass das geile kleine Gör was mit dem Hardbeck hatte?«

»Na ja, sie waren Schulfreunde, in der gleichen Klasse, haben zusammen Abitur gemacht.«

»Den Sohn meine ich nicht, ich meine den Vater.«

»Wollen Sie mir nicht endlich sagen …« Aber er hatte die Verbindung schon wieder unterbrochen.

Was für ein Spiel spielte diese Stimme?

Das Licht der Sonne strömte flach aus Westen und tauchte die Kirche in gleißendes rötliches Licht.

Endlich rollte Vera auf den Hof. Sie fuhr ein Uraltauto der Marke ›Maria hilf und Josef schieb nach‹, es war ein Renault von Anno Tobak, was durchaus für die Marke spricht.

Sie blieb hinter dem Steuer sitzen und rief durch das offene Fenster: »Hi, Baumeister!«

»Hi, meine Schöne. Komm raus und reck dich. Möchtest du etwas trinken?«

»Schnaps. Hast du einen Schnaps?«

»Na, sicher habe ich einen Schnaps. Einen Premium-Brand aus hiesigen Williamsbirnen, Geheimtipp aller einsamen Säufer.«

»Den brauche ich.« Sie machte die Autotür auf und stieg aus. »Schön hast du es hier.« Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Sie trug, was junge Frauen in Sommerwärme tragen: Sandalen, blaue Jeans, ein rotes T-Shirt. Alles in allem war sie ein hübscher Anblick, sie passte punktgenau in diesen lauen Sommerabend.

»Ich hole dir den Schnaps, dann hocken wir uns in den Garten.«

In der Küche goss ich ihr einen kräftigen Schluck in ein Wasserglas und nahm mir einen Apfelsaft und zwei gestopfte Pfeifen mit.

»Der Teich macht so ruhig«, sagte sie. »Was treibst du so?« Sie hockte in dem Gartensessel, hatte ein Bein hochgezogen und auf das andere gelegt. Jede ihrer Gesten sagte: Rühr mich nicht an! Komm mir bloß nicht zu nahe!

»Ich treibe, was ich immer treibe. Ich bin Journalist, also schreibe ich Dinge auf, die sich möglicherweise Gewinn bringend verkaufen lassen. Seit heute habe ich eine weibliche Leiche auf dem Programm. Und als Sahnehäubchen eine männliche Leiche obendrauf. Ich weiß noch nicht, was daraus wird. Wie ist es dir ergangen?«

Sie zog eine Packung Marlboro von irgendwo hervor und zündete sich eine Zigarette an. Sie rauchte hastig und sog den Rauch tief in die Lunge. »Wir hatten ein paar schöne Tage damals. Warum haben wir eigentlich nicht mehr daraus gemacht?« Dabei griff sie nach dem Schnaps und trank ihn mit einem Zug aus. »Das brauchte ich jetzt. Tja, warum haben wir nicht mehr daraus gemacht?«

»Du wolltest in Mainz beim Landeskriminalamt arbeiten. Du sagtest, das sei eine Riesenchance für dich. Ich wollte in der Eifel bleiben. So einfach war das.«

»Du hast eine Frau, eine Gefährtin, nicht wahr? Und ich gehe dir auf den Keks.«

»Du gehst mir nicht auf den Keks und ich habe keine Gefährtin. Das passt mir im Moment. Du hast mit einem Mörder geschlafen?« Ich wollte sie provozieren. Sie war gekommen, um etwas loszuwerden.

»Na ja, eigentlich nicht. Aber das ist mittlerweile egal. Ich überlege, ob ich die Polizistenkarriere aufgeben soll. Darf ich die Geschichte erzählen, hast du Platz dafür?«

»Aber ja, leg los.«

»Weißt du«, sie starrte über den Teich in eine unbekannte Ferne, »es ist im Grunde eine selten dämliche Geschichte. Ich habe es vermasselt. Ich habe mich angestellt wie eine Vierzehnjährige … Eigentlich war ich in der Abteilung für Wirtschaftskriminalität. Dann hatten die vom Mord- und Raubdezernat einen schwierigen Fall. Ein dreißigjähriger Malermeister hatte seine Mutter getötet. Wahrscheinlich im Vollrausch. Es gab aber keine Beweise, sie konnten ihn nicht festnehmen, nur beobachten. Ich sollte mich an ihn ranmachen, mal in ihn reinhorchen. Ich wurde also abgezogen zur Mordkommission. Langsam brachte ich mich an den Mann ran, er war sehr misstrauisch, eigentlich ein ekelhafter, schleimiger Typ. In seiner Stammkneipe habe ich Kontakt zu ihm bekommen. Wir hatten in der Nähe ein kleines Apartment für mich gemietet, das war alles perfekt vorbereitet. Mit der Zeit wurde er warm und begann von sich zu erzählen. Natürlich sagte er nicht: ›Ich habe meine Mutter erstochen.‹ Er erzählte mir aber immerhin, dass er seine Mutter immer gehasst habe. Weil sie Kerle hatte, weil sie furchtbar geizig war, weil sie ständig jammerte. Eines Nachts nahm ich ihn mit zu mir in das Apartment. Ich hatte ihm allerdings gesagt, im Bett läuft nichts bei mir. Wir hockten da und tranken Wein. Und endlich rückte er damit raus, dass er seine Mutter erstochen hätte. Ein verstecktes Tonband lief mit, alles klappte sehr gut. Es gab ein paar Einzelheiten, die nur der Mörder wissen konnte –